Betteln Pater Wolfgang: „Wenn ich jemandem Geld gebe, muss ich es loslassen“

Düsseldorf · Interview Bettler gehören zum Straßenbild, auch und besonders an Weihnachten. Wie reagiert man am besten? Ein Gespräch mit Pater Wolfgang.

 Pater Wolfgang auf der Bolkerstraße vor der Andreaskirche. Er hat häufig mit den Armen in der Stadt zu tun.

Pater Wolfgang auf der Bolkerstraße vor der Andreaskirche. Er hat häufig mit den Armen in der Stadt zu tun.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

In der Vorweihnachtszeit sind die Geschäftsstraßen in der Düsseldorfer Innenstadt voll. Mit Tüten bepackt laufen Menschen durch das Gedränge und suchen noch die restlichen Weihnachtsgeschenke zusammen. Zum Straßenbild gehören aber auch Bettler, die manchmal nicht wissen, wie sie die nächste Mahlzeit bezahlen sollen. Die Reaktionen auf Menschen, die um eine Spende bitten, reichen von Ablehnung bis Mitleid. Wie soll man am besten mit Bettlern umgehen, das wollten wir von Pater Wolfgang wissen. Der Gefängnisseelsorger, der im Dominikanerkloster lebt und die Armenküche in der Altstadt initiiert hat, gibt sehr persönliche Antworte.

Was empfinden Sie, wenn Sie einen bedürftigen Menschen sehen, der um Almosen bittet?

 Ein Bild, das in der Fußgängerzone oft zu sehen ist: Ein Mann bettelt um Essen.

Ein Bild, das in der Fußgängerzone oft zu sehen ist: Ein Mann bettelt um Essen.

Foto: Paul Zinken

Pater Wolfgang: Die Begegnung mit bettelnden Menschen ist für mich auch eine Erinnerung daran, wie gut es mir geht. Es erinnert mich auch daran, wie das Leben Menschen mitspielen kann. Ich kenne viele Lebensgeschichten und weiß, welche Beschädigungen sie erlitten haben. Für mich ist es etwas, was mich wachhält.

Ist es Ihnen manchmal auch unangenehm, Bettlern zu begegnen?

Pater Wolfgang: Das kommt dann sehr darauf an. Es gibt Menschen, die betteln in einer, wie ich finde, sehr angemessenen Art und Weise und es gibt Menschen, die betteln so, dass ich fast schon geneigt bin, eine Strafanzeige zu stellen. Das ist sehr unterschiedlich.

Was macht man, wenn an jemanden gerät, von dem man sich bedrängt fühlt?

Pater Wolfgang: In diesem Kontext ist der Begriff der Freiheit das Wichtigste. Die liegt auf beiden Seiten. Ich habe die Freiheit zu geben oder nicht zu geben. Genauso wie der andere die Freiheit hat, zu betteln. Das heißt aber nicht, dass ich mich anderen Leuten in den Weg stellen darf. Auch nicht, dass ich jemand ein Gespräch aufzwingen darf und erst recht nicht, dass ich andere drangsalieren oder anfassen darf. Wenn Menschen über meine Grenzen gehen, dann habe ich mich auch zu wehren. Wenn sich jemand in den Weg stellt, dann ist das ein Straftatbestand. Ich kann den anzeigen.

Was raten Sie: Wem sollte man etwas geben?

Pater Wolfgang: Ich rate dazu, dann etwas zu geben, wenn mein Herz mir rät: ‚Mach das.‘ Das hat ja meistens auch etwas damit zu tun, dass ich den Menschen, der da jetzt gerade bettelt, nicht gerade unsympathisch finde. Dann habe ich vielleicht Lust etwas zu geben, aber ich habe dann bei dem nächsten oder übernächsten keine Lust mehr.

Ist es nicht ungerecht, wenn man nur einem Bettler etwas gibt, dem anderen aber nicht?

Pater Wolfgang: Die Frage nach Gerechtigkeit kann dabei keine Rolle spielen. Wir kennen ja nicht die Lebenssituation desjenigen. Man kann da nur seinem Gefühl trauen, was anderes kann uns da nicht leiten. Der eine hat tatsächlich eine Wohnung, wo er wohnt und hat es nur nicht geschafft, seine Stromkosten zu bezahlen. Der andere pennt draußen und kriegt noch nicht mal Hartz IV, weil er es emotional nicht schafft, den Weg zum Amt zu gehen und lebt nur von der Bettelei. Wenn ich da als Passant die Kategorie Gerechtigkeit reinbringe, dann jongliere ich mit lauter Unbekannten.

Was sollte man am besten spenden?

Pater Wolfgang: Wichtig ist vor allem die Erwartung, mit der ich etwas gebe. Wenn ich jemand Geld gebe, muss ich das Geld loslassen. Was der damit macht, ist seine Sache. Ob derjenige davon jetzt ein Lachsbrötchen oder eine Erbsensuppe kauft – oder ob er sich davon etwas holt, was seine Suchtbedürfnisse befriedigt, darüber sollte ich mir keinen Kopf machen. Das ist die Freiheit des Menschen, dem ich das gebe. Wenn jemand sagt: ‚Ich habe Hunger.‘ Dann kann ich ja fragen, was er braucht. Wichtig finde ich auch, dass die Institutionen unterstützt werden, die den Leuten auch mit Beratung zur Verfügung stehen, wie die Tagesstätten der Diakonie oder die Altstadtarmenküche, die sich Tag für Tag um die Bedürftigen kümmern. Die geben nicht nur etwas, sondern bieten auch Hilfe zur Selbsthilfe an, die wieder in die Mündigkeit führen.

Worauf kommt es Ihnen im Umgang mit Bettlern an?

Pater Wolfgang: In meinen Augen ist es ein hoher Wert, wenn Leute zu dem Bettler, der regelmäßig vor dem Supermarkt steht, Kontakt haben. Mal unterhält man sich, mal sagt man nur ‚Guten Tag‘. Das ist ein menschliches Miteinander, das mir sehr gut gefällt. Bettler haben mir gesagt, dass das fast das Wichtigere ist.

Warum hat man manchmal ein mulmiges Gefühl, wenn man einen Bettler sieht?

Pater Wolfgang: Der eine oder andere wird vielleicht denken, das könnte mir auch passieren. Das werden andere vielleicht überhaupt nicht denken. Mir geht es zum Beispiel so, wenn ich Menschen sehe, die zum Beispiel auf der Straße knien, dann habe ich fast schon eine Aggression. Da kommt so eine Wut hoch: ‚Was mag dazu führen, dass dieser Mensch sich so erniedrigt?‘ Ich gebe prinzipiell Menschen, die knien, gar nichts. Ich will nicht – selbst wenn jemand betteln muss – dass der sich hinkniet.

Was ist denn ihr Wunsch für Menschen, die betteln?

Pater Wolfgang: Mein Wunsch ist, dass wir Menschen, die beschädigt sind und in Notlagen geraten, viel besser begleiten und deren Selbstständigkeit viel mehr respektieren. Das ist eine Frage an unser gesellschaftliches Miteinander und nicht an den Passanten, der auf einen Bettler trifft. Das ist ein Wunsch an die Gesellschaft.