Herr Heinersdorff, wie bewerten Sie die komplette Absage am Sonntagabend an alle Kultureinrichtungen in NRW?
Interview René Heinersdorff: „Allen privat geführten Theatern droht die existenzielle Gefährdung“
Düsseldorf · Der Chef des Theaters an der Kö über das Corona-Virus und Gefahren für Privat-Theater.
Tonhallen-Konzerte, Premieren in Oper und Schauspielhaus wurden alle wegen des Coronavirus. bereits in der letzten Woche abgesagt. Die kleinen Bühnen hatten zunächst noch selber entscheiden können, ob sie spielen oder nicht. Doch am Sonntagabend dann die Entscheidung vom Land: Ab Montag sollen alle Bars, Clubs, Theater, Kinos und Museen schließen – nicht nur die Großen. Unsere Zeitung sprach mit René Heinersdorff, Vorsitzender der Privattheatergruppe im Deutschen Bühnenverein über die aktuelle Lage und Zukunft der Privattheater.
René Heinersdorff: Wir haben um das Verbot zuletzt regelrecht gebettelt, weil wir uns im luftleeren Raum sahen. Das Publikum hat uns zum Teil beschimpft, weil wir immer noch spielten und zum Teil als das letzte Orchester auf der Titanic gefeiert. Mit dem Verbot ist es nun eindeutig. Ob ich das gut finde, steht auf einem anderen Blatt. Ich bin kein Virologe, weiß nur von der Logik her nicht, ob ein Kollaps des Gesundheitssystems nicht auch dann droht, wenn die Gesellschaft kollabiert. Und ohne kulturelle Grundversorgung und mit dem Aussetzen jeglicher Wirtschaft steht das meines Erachtens bevor.
Wie würden Sie die Lage der Privat-Theater aktuell in Deutschland beschreiben?
Heinersdorff: Die Lage ist eine Katastrophe, wie für viele Branchen. Während wir das Aussetzen des Spielplans, was uns an große logistische Aufgaben führt, sicher für 2 bis 4 Wochen mit Kurzarbeit, Unterstützung der Stadt und Mieterlass durch die Vermieter hinkriegen können, macht uns das Anschieben danach große Sorgen. Ist an jenem ominösen 19. April dann wieder alles gut? Wie lange brauchen die Theaterbesucher, um das Vertrauen, das durch die panikhafte Schließung der Bühnen entstanden ist, wieder aufzubauen. Und das in Richtung Sommer, der eh immer schwerer für die Theater ist. Wenn ein städtisches/staatliches Haus einen Monat lang nicht spielt, bei einer Finanzierung durch die öffentliche Hand von rund 80 Prozent, bedeutet da die Mindereinnahme im Gesamtetat unter zwei Prozent. Für die Privattheater bedeutet das weit über 15 Prozent Verlust, und das ist für die meisten das Aus.
Wie hatte sich die Lage der Privattheater schon vor der kompletten Absage aller Aufführungen am Sonntag geändert, als nur die großen Bühnen betroffen waren?
Heinersdorff: Sie hatte sich täglich verändert, von der Empfehlung bis zum Erlass. Durch die Panikmache der Medien und dem Profilierungswillen vieler Politiker ist der Vorverkauf gegen Null gegangen und es gibt bundesweit Absagen von Reservierungen und Rückgaben von Karten in hoher Zahl, zuletzt ging der Verkauf gegen Null. Mal ein paar Todesmutige an der Abendkasse, wie zum Trotz. Ein Ansteckungsfall in einem Theater, die in aller Regel gut belüftet sind, ist bis dato bundesweit nicht bekannt.
Welche Gefahren drohen den privat geführten Theatern in Düsseldorf jetzt langfristig?
Heinersdorff: Allen privat geführten Theatern droht durch Ausfälle eine existentielle Gefährdung, das ist sehr ernst. Die große Überzahl dieser Theater ist am Ende der Saison glücklich, wenn sie die schwarze Null geschafft hat. Die ist im Falle dieser Spielunterbrechung mitten in der Saison nicht mehr zu erreichen.
Am Montag soll es ein Treffen der kleinen Bühnen mit dem Oberbürgermeister und dem Kulturdezernenten geben. Was erwarten Sie jetzt von den Städten?
Heinersdorff: Ich erwarte nicht nur eine Rettung durch die Kommunen, sondern auch einen Beitrag der Träger hinter der vorderen Front. Also Vermieter, Verlage, Finanzämter, Berufsgenossenschaften, Werbepartner, etc., die ja zum Teil seit Jahrzehnten auch gut von den Theatern leben. Hier könnte der Gesetzgeber in dieser besonderen Situation auch Solidarität einfordern oder sogar verordnen. Die Lasten einer solchen, als existentiell empfundenen Lage, müssen verteilt werden.
Wie können die Kommunen auf Dauer die Existenz der kleineren Häuser sichern – von denjenigen, die bislang keine regelmäßigen Zuschüsse der öffentlichen Hand erhalten?
Heinersdorff: Das muss jede Stadt für sich entscheiden und hat nichts mit dem Virus zu tun. Wenn die Städte endlich nach europäischen Recht Marktgleichheit nicht verhindern würden, wäre die Lage der privaten Theater weniger brisant.
Warum müssen auch private Boulevard-Theater unterstützt werden?
Heinersdorff: Eine Stadt, die sich als Großstadt empfindet, braucht mindestens ein Boulevardtheater. In welcher Form und Höhe die öffentliche Hand das unterstützen möchte, muss sie selber entscheiden. Düsseldorf ist da im bundesdeutschen Vergleich absolutes Schlusslicht. Dabei geht es nicht immer nur um Geld. Es geht um Werbung, Räumlichkeiten, Anerkennung und Logistik.
Wie sieht die Lage der privatgeführten Häuser in NRW und in Düsseldorf denn aus?
Heinersdorff: Von der Bauart, die wir sind, als Komödie, Theater an der Kö, Kom(m)ödchen, gibt es in Deutschland vielleicht 25 Exemplare. Das sind die letzten Dinosaurier dieser großartigen Spezies. Köln, Bonn, Aachen und Münster sind die einzigen Städte, die vergleichbare Häuser haben. Alle unterstützt. Nur in Düsseldorf nicht.