Düsseldorf Educon: Misshandlungen als Therapieform?

Ehemalige Gruppenleiterin bricht ihr Schweigen — und rechtfertigt, dass Kinder etwa vom Stuhl gestoßen wurden.

Ein Schild weist auf die Graf-Recke-Stiftung hin. In Düsseldorf läuft der Prozess um den Misshandlungsskandal bei der evangelischen Jugendhilfe Educon. Archivbild.

Foto: Martin Gerten

Düsseldorf. Im Prozess um Misshandlungen autistischer Kinder in einer Educon-Einrichtung hat jetzt die Hauptangeklagte ihr Schweigen gebrochen. Die Frau beruft sich auf einen Psychologen, nach dessen Lehre und mit dessen Rücksprache sie die Kinder behandelte.

Die Anklage wirft ihr und weiteren Mitarbeitern vor, Kinder und Jugendliche erniedrigt und gequält zu haben. Kindern sei das Essen verweigert worden, sie seien verletzt und gegen ihren Willen auf verschiedene Arten fixiert worden. Die Anklage stützt sich auf Videomaterial. Die 43-jährige gelernte Erzieherin hatte 2003 von einem Therapiekonzept erfahren, das ihr beim Umgang mit autistischen Kindern helfen sollte. Sie lernte den Psychologen, der es entwickelt hat, persönlich kennen, besuchte seine Seminare. Als ein besonders aggressives Mädchen in die Wohngruppe kam, habe sie nach Rücksprache mit ihm mit der „Körperbezogenen Interaktionstherapie“ oder auch „Festhaltetherapie“ begonnen.

Der Therapeut habe geraten, alles auf Video zu dokumentieren. Er habe die Filme ausgewertet und mit der Gruppenleiterin besprochen, wie auf das Verhalten des Mädchens zu reagieren sei. Unter anderem seien dem Mädchen so bei unerwünschtem Verhalten Taschentücher in den Mund gesteckt worden.

Als das Mädchen andere Kinder vom Stuhl getreten habe, soll der Therapeut geraten haben, „den Spieß umzudrehen“. Daraufhin sei das Mädchen auf einem Stuhl sitzend immer wieder umgestoßen worden.

Dass den Kindern Essen verweigert wurde, bestreitet die Frau. Auch fixiert worden seien die Kinder nur, um sich und die Betreuer zu schützen.

„Ich weiß heute nach zehn Jahren und neuen Erkenntnissen aus der Therapie, dass ich so etwas nie wieder tun würde“, sagte sie. „Damals erschien mir das Konzept aber schlüssig.“

Der Prozess wird fortgesetzt.