Ein Fall für den Rockschutzverein: Flucht aus dem Café

Wenn große Hymnen als Cover im Hip-Hop-, Swing- und Bossa-Nova-Stil verwurstet werden, ist es auch im schönsten Café nicht mehr auszuhalten.

Foto: Sonja Marzoner

Zum öffentlichen Raum gehören gute Cafés. Sie sind die Orte, an denen man einen Moment verschnaufen kann und sich den Stress des Tages mit einem dunklen Heißgetränk von der Seele spült. Wenn es denn klappt. Wenn nicht irgendwer beschlossen hat, direkt vor meinen Ohren Musikkultur zu zerstören. Leider ist das immer häufiger der Fall, weshalb ich auf der Suche bin nach einem Kaffeehaus, wo nicht die größten Hits der Geschichte in irgendeiner Mainstreamwelle ersäuft werden.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin ein großer Freund von Musik. Ich höre sie gerne, schwelge gerne in ihr, kann sie aber auch ausblenden, wenn sie mich nichts angeht. Ich habe es halt gerne, wenn sie sich ihrer Rolle und ihrer Funktion bewusst ist.

Gerade sitze ich in meinem ehemaligen Lieblingscafé, und aus den Lautsprechern quäkt ein auf Hip-Hop getunter Klassiker. Ich identifiziere ihn als „Southern Man“. Das war mal eine meiner Lieblingsnummern von Neil Young, aufrührerischer Südstaatenrock mit kritischem Geist. Möglicherweise habe ich damals, Anfang der Siebziger, als der Song erschien, zu viel in ihn hineininterpretiert. Ich fand ihn politisch bedeutend, weil er sich dem unterschwellig immer noch umtriebigen Geist der Sklavenhaltung entgegensetzte und fragte, wann denn die Sklavenhalter gedächten, ihren Opfern zurückzuzahlen, was sie ihnen einst abgepresst hatten.

Nun plärrt „Southern Man“ in Hip-Hop, und manchem mag das als zeitgemäße Aufbereitung erscheinen, mir nicht. Ich ordne diese akustische Verwurstung einem Trend zu, der immer mehr Cafés befällt. Kürzlich erst hörte ich in einer anderen Koffein-Tankstelle „Smoke On The Water“ im Samba-Rhythmus. Nun gehört der alte Deep-Purple-Kracher nicht zu jenen Klangkonstruktionen, denen ich den Status eines Weltkulturerbes zugestehen würde, aber ein bisschen mehr Beachtung hätte ich dem berühmtesten Gitarrenriff der Welt schon gegönnt.

Vollendes aus der Bahn geworfen wurde ich allerdings, als ich es, wieder in einem anderen Café, erneut mit südamerikanischen Klängen zu tun bekam. Ich habe nichts gegen südamerikanische Klänge, ab und an finde ich sie sogar Hüft-bewegend. Aber wenn ich dann einen Bossa-Nova-Groove entdecke und plötzlich identifiziere, dass sie da gerade Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ durch die Mangel drehen, gefriert mir der Speichel in den Mundwinkeln.

Einmal habe ich die Rebellion versucht, bin an die Theke und habe gefragt, ob man dieses musikverachtende Verunstalten von guter Musik bitteschön lassen könne. Ohne Erfolg. Ich blickte in leere Gesichter. Das habe der Chef so programmiert, das komme aus dem Internet, hieß. Ich wurde dabei gemustert wie ein just in diesem Moment gelandeter Alien, was ich in den Augen der unschuldigen Angestellten zweifellos auch war. Für sie gehört das einfach dazu, diese gesichtslose Mucke von irgendwo für irgendwen.

Nun kann ich problemlos die Lokalität wechseln, was ich auch schon ein paar Mal gemacht habe, aber spätestens im dritten Café läuft sie wieder, diese Fahrstuhlmucke, die vor nichts und niemandem Halt macht. Irgendwann hörte ich „Hey Joe“ als Swing, und ich spürte, wie sich Jimi Hendrix in seinem Grabe rumdrehte.

Was habe ich einst geschimpft über die andauernde Beschallung mit Songs von Norah Jones und Sade. Das sei doch belangloses Einerlei, das könne man doch nicht ertragen, maulte ich. Wie dumm ich war. Ich möchte bitte Norah Jones und Sade zurückhaben in meinen Düsseldorfer Cafés. Ich möchte meinen Seelenfrieden zurück.

Um meine Forderung mal attraktiv zu machen: Ich bin ein guter Kunde, ich schaue nicht auf den Preis, ich zahle für den Kaffee notfalls auch eine Summe, die andere als Eigenanteil beim Erwerb einer Wohnung vorhalten. Ich bin nicht laut, ich sitze brav in einer Ecke, nutze das hauseigene W-Lan und schreibe Texte wie diese.

Liebe Café-Besitzer, wenn ihr mich als Kunden behalten wollt, dann ändert die Musik doch bitte. Spielt gerne richtigen Bossa Nova, richtigen Hip-Hhop, richtigen Swing, im Original. Oder berieselt mich mit komplett sinnlosen Klängen, notfalls auch mit Antenne Düsseldorf. Das kann ich alles ertragen, das kann ich einordnen. Aber lasst mir bitte meine Klassiker. Sonst alarmiere ich den Rockschutzverein, und dann gnade euch der Gott des guten Klangs.