Kolumne Eine Klaus-Dinger-Straße, das wäre "Neu!" für Düsseldorf
Warum Düsseldorf eine Straße nach dem Gründer der Krautrockband "Neu!" benennen sollte — das erklärt der Autor vom Düssel-Flaneur in seiner Kolumne für unsere Redaktion. Und was David Bowie damit zu tun hat.
Düsseldorf. Mein bester Freund P. regt sich mal wieder auf. Über Thekenmannschaften, die auf der Bolkerstraße alle Hemmungen verlieren. Über Junggesellenabschiede, die in Einheits-Shirts à la „Bald sind wir verheiratet, danach kann ich fett werden“ durch die Altstadt ziehen. Und über sich selbst, weil er sich so sehr darüber aufregt. „Nicht mal mehr auf der Ratinger Straße kannst du solchen Gruppen am Wochenende entkommen“, sagt er, als wir uns auf die Treppe vor dem Salon des Amateurs am Grabbeplatz setzen. Nur ein bis zwei Steinwürfe vom lauten, trubeligen Teil der Altstadt entfernt, der jetzt eher leise und untrubelig ist. Es ist 17.32 Uhr, die Sonne scheint nicht, und es ist auch kein Wochenende.
Ich ahne, dass meinem besten Freund P. das Touristen-Bashing nur als Einstieg dient: Wenn ein (selbst ernannter) „Lobbyist“ für Düsseldorfer Popkultur, wie er den in der Kunsthalle untergebrachten Salon (momentan nur freitags und samstags ab 21 Uhr geöffnet) als Treffpunkt vorschlägt, kann das eigentlich kein Zufall sein. Leicht geheimnisvolle Ansage: Er wolle ein Thema mit mir besprechen, über das unbedingt einer schreiben müsse. Weil Düsseldorf das verdient habe, und natürlich meint er damit nicht meinen zukünftigen Text, sondern seine gegenwärtigen Ideen. „Du brauchst ja gar nicht auszugehen, um das Elend zu erleben“, nimmt er den Faden wieder auf, „das geht auch von der Couch aus, via Instagram oder Facebook.“ Und dann lästert er über Feierwütige, die auf dem nächtlichen Rückweg zu ihren Hotels sturzbesoffen in den Kö-Graben pinkeln oder kotzen und am nächsten Tag an gleicher Stelle ein fröhlich-verkatertes Gruppenselfie machen und es mit „Düssel“ hashtaggen. Auch die Touristen-Logik dahinter kann mein bester Freund P. erklären: „Wasser im Zentrum von Düsseldorf, aber nicht der Rhein, das muss dann wohl die Düssel sein.“
Ich weise ihn darauf hin, dass der die Königsallee teilende Kö-Graben mit Düssel-Wasser gespeist werde. Insofern sei der „Düssel“-Hashtag so daneben nun auch wieder nicht.
„Als ob die Besoffskis das wüssten“, sagt P., grinst sein ironisches P.-Grinsen. Er prostet mir zu, ich deute (natürlich nicht im Ernst) entschuldigend auf meinen Kaffeebecher. Feierabend-Bier vs. Nachmittags-Latte.
Noch fehlt meinem besten Freund offenbar der Anstoß zur eigentlichen Spieleröffnung. Also provoziere ich ihn: „Willst du etwa, dass ich einen Text darüber schreibe, wie Proll-Touristen sich danebenbenehmen?“
P. zieht die Augenbrauen hoch, ich lege nach: „Das wäre doch zum Gähnen, RTL2-mäßig, und überhaupt kann nun mal nicht jeder so ein Subkultur-Checker sein wie du.“
P. reagiert ungerührt: „Es geht darum, welche Touristen Düsseldorf verstärkt ansprechen möchte.“ Als Stadt der Kunst und der Architektur sei man etabliert. Auch unter Tanz-Fans sei Düsseldorf durch das Tanzhaus NRW international bekannt. Und natürlich wüssten Fußballfans und Co., dass man hier gut feiern könne. Sei ja auch okay. Eine Zielgruppe habe man jedoch bisher viel zu sehr vernachlässigt: die Popkulturaffinen.
P.s Hoffnungsschimmer: Düsseldorf Tourismus habe inzwischen einen Musikbeauftragten, und Ende des Sommers gehe eine „SoundOfUrbanana“-App an den Start. So könne jeder durch Düsseldorfs Pop-Geschichte spazieren und sich die 15 wichtigsten Orte durch Musik- und Textschnipsel vorstellen lassen — vom Ratinger Hof über den ehemaligen Club Creamcheese (Neubrückstraße 12) und Kraftwerks Kling-Klang-Studio (Mintropstraße 16) bis hin zum wichtigsten aktuellen Club der Stadt: „Also diesem hier!“ Er dreht sich zum Salon des Amateurs um und macht eine Geste, als sei die Fläche vor dem Eingang eine freizugebende Manege. „Okay, ein Düsseldorf Pop Museum wäre natürlich noch besser gewesen“, sagt P., „aber auch teurer.“ Insofern sei die App ein guter Anfang, um das musikalische Erbe auch offiziell angemessen in Szene zu setzen.
Was mein bester Freund P. damit meint: Keine andere deutsche Stadt hat die Popkultur in den 1970er und 1980er Jahren mehr geprägt - von der Punk- und New Wave-Szene, aus der unter anderem die Toten Hosen hervorgingen, bis hin zur elektronischen Szene zwischen Kraftwerk und Krautrock, auf die sich bis heute Musiker in aller Welt berufen, etwa OMD, Brian Eno, Iggy Pop, Heaven17, Depeche Mode und Radiohead. Düsseldorf, das Memphis der elektronischen Musik. „Alleinstellungsmerkmal!“, bekräftigt P.
Über Kraftwerk sei ja durchaus häufig geredet worden in den vergangenen Jahren, daher ist Krautrock „made in Düsseldorf“ P.s heutiges Thema. Auf seinem Smartphone zeigt er mir einen YouTube-Clip: Zu sehen ist der 1997er Besuch von David Bowie bei „Wetten ,dass. . ...?“. Bowie nimmt neben Till Schweiger und Nina Hoss auf der Couch Platz, und dann erzählt er im Gespräch mit Thomas Gottschalk, wie sehr ihn in seiner Berlin-Zeit in den 70er Jahren Bands aus Düsseldorf beeinflusst hätten. Neben Kraftwerk auch Harmonia und Neu! Bowie fragt ins Publikum, ob jemand Neu! kenne, und nur einer meldet sich.
„Einer!“, sagt P. empört. „Nur einer! Die Wetten , dass. . ...?-Sendung ist damals zwar in Münster aufgezeichnet worden, aber in Düsseldorf wären es sicher auch nicht mehr als fünf gewesen. Und eben deswegen brauchen wir hier eine Klaus-Dinger-Straße. Damit in Düsseldorf so viele wie möglich wissen, wer Klaus Dinger ist. Und in Münster zumindest mehr als einer. . .“
„Klaus Dinger?“ Ich blicke ihn fragend an.
„Ist das nicht. . .“
P. führt meinen Satz zu Ende: „. . . der 2008 verstorbene Gründer der von David Bowie erwähnten Band Neu!“
„Klaus-Dinger-Straße klingt gut“, sage ich.
„Ich fände Klaus-Dinger-Platz auch nicht schlecht.“ „Klaus-Dinger-Allee, Klaus-Dinger-Park, Klaus-Dinger-Halle, Klaus-Dinger-Saal, egal!“ P. gestikuliert, schmeißt dabei fast seine Bierflasche um. „Zur Not benennt man eben ein Teilstück einer bestehenden Straße um.“
„Seit ein paar Jahren gibt es in Flingern eine Frank-Zappa-Straße“, sage ich — und meine das positiv, als Zeichen, dass es immerhin möglich zu sein scheint, Straßen nach Popmusikern zu benennen.
P. verzieht gequält die Mundwinkel: „Die Idee ist doch damals aus Berlin geklaut worden, weil es dort bereits eine Frank-Zappa-Straße gab. Nach dem Motto: auch mal arm und sexy sein und nicht immer nur reich und schick.“ Mein bester Freund hat jetzt wieder seinen anfänglichen Aufregungspegel erreicht. „Okay, Zappa war wohl Anfang der 70er öfter mal im Creamcheese zu Gast, dessen Name von einem seiner Songs inspiriert ist.“ Er winkt ab. „Aber das Paul-Janes-Stadion in Flingern ist ja auch nicht nach einem Spieler von Real Madrid benannt.“
Und dann erzählt mein bester Freund P. fünfzehn Minuten lang alles Mögliche über Klaus Dinger. Unmöglich, das hier komplett wiederzugeben. Nur so viel: geboren 1946, Schüler des Görres-Gymnasiums, Architektur-Student in Krefeld, als Schlagzeuger 1970 eines der Anfangsmitglieder von Kraftwerk, dann einer der Gründer von Neu!, später Gründer und Sänger der Nachfolgeband La Düsseldorf. Mehr als eine Millionen Albumverkäufe weltweit, besonders populär in Großbritannien und den USA, trotzdem zeitlebens ein Undergroundstar. 2008 starb Dinger an Herzversagen, drei Tage vor seinem 62. Geburtstag. Der britische Independent würdigte ihn daraufhin als „Pioneer of Motorik Beat“, in Anspielung auf Dingers hypnotische und stilprägende Schlagzeugspieltechnik.
„Sein deutscher Wikipedia-Eintrag umfasst drei PDF-Seiten, der englische zehn. Du weißt schon, der Prophet im eigenen Land . . .“ Mit diesem Satz beendet mein in der Werbebranche arbeitender Freund P. seinen Dinger-Vortrag, hat sein Alt inzwischen fast aufgetrunken, schaut auf die Uhr. Gleich halb sieben. Er müsse zurück in die Agentur, wichtiger Kunde, dringender Auftrag, Spätschicht. Sein „Feierabendbier“ war also nur ein „Arbeitspausenbier“.
„Welcher Kunde?“, frage ich.
„Düsseldorf Tourismus jedenfalls nicht“, sagt P. augenzwinkernd.
Ich solle lieber mal Richtung Neubrückstraße schauen und mir vorstellen, wie Klaus Dinger, dessen Bruder Thomas sowie Hans Lampe, das dritte Mitglied von La Düsseldorf, vor rund 40 Jahren hier, von der Kunsthalle aus, Richtung Goldenes Einhorn spazierten - in weißen Overalls, ihrem Markenzeichen. Und wenn ich mehr darüber wissen möchte, solle ich das Suhrkamp-Buch „Electri_city. Elektronische Musik aus Düsseldorf“ lesen. Dieses sei quasi Pflichtlektüre für jeden Popkulturbegeisterten und 2014 vollkommen zu Recht auch in überregionalen Medien wie taz, Deutschlandfunk und Spiegel-Online ein Thema gewesen. Inzwischen gebe es die Oral History auch auf Englisch. Kein Wunder, die britische Szene liebe das Thema eben. „Vor Kurzem ist sogar ein Local’s guide to Düsseldorf im Guardian - im Guardian! - erschienen, geschrieben von „Electri_city“-Autor Rüdiger Esch!“ Und eben dieser Esch habe mit Klaus Dinger in den 80ern noch gemeinsam Musik gemacht. Einstieg in den Guardian-Artikel: Ein Zitat von na, von wem wohl? Klaus Dinger.“
Mein bester Freund P. kommt auf den Punkt: „Du schreibst also was dazu?“
„Kann gut sein“, sage ich.
„Dann vergiss nicht zu erwähnen, dass es nicht um einen Nostalgietrip geht, sondern um den Ruf der Stadt. Darum, dass aus einer bewusst gepflegten Musiktradition heraus Neues entstehen kann und soll. Eine Klaus-Dinger-Straße wäre dafür ein symbolischer Wegweiser. Mal ganz abgesehen davon, dass das Straßenschild auf Instagram früher oder später zum meistfotografierten der Stadt würde . . .“ Als er aufsteht, nennt P. als „Beleg“ noch schnell zwei in den vergangenen Jahren aus der Salon des Amateurs-Szene hervorgegangene Bands, die sich auf Düsseldorfs Krautrock-Tradition berufen: Die Wilde Jagd und Stabil Elite. Außerdem sei ihm in letzter Zeit Rob Keane positiv aufgefallen: Ein in Düsseldorf lebender Australier, der sich für sein elektronisches Musikprojekt Watt! sicher nicht zufällig das Ausrufezeichen von Dingers Band Neu! „ausgeliehen“ habe.
P.s’ Abschlussplädoyer, bevor er sich auf sein Rennrad schwingt: „Eine Klaus-Dinger-Straße wäre nicht nur eine verdiente Ehrung des Künstlers, sondern auch nachhaltiges Stadtmarketing.“ Kaum einer werde 2019 oder 2020 als Tourist nach Düsseldorf kommen, weil er sich erinnere, dass hier 2017 eine Tour de France gestartet ist. Besser sei es, kleinere, aber klar definierte Zielgruppen anzusprechen: „Zum Beispiel die vielen Kraftwerk- und Krautrock-Fans im englischsprachigen Raum.“
Ich bleibe noch eine Weile sitzen, dann spaziere ich um die Kunsthalle herum, Richtung Carsch-Haus. Kurz bevor ich die Buchhandlung Walther König erreiche, werfe ich zum ersten Mal seit Jahrzehnten einen Blick auf das Straßenschild: Neustraße! Die heißt tatsächlich so, warum auch immer, aber sicher hat es nichts mit Klaus Dingers gleichnamiger Band zu tun. Fehlt ja auch ein Ausrufezeichen. Dabei würde es so gut passen: Hier an der Kunsthalle, in der Klaus Dinger 1998 ein unter Fans legendäres Konzert mit seinem letzten Bandprojekt La!Neu? gab. Hier, wo heute der Salon des Amateurs die Düsseldorfer Tradition der kreativen Nähe zwischen Kunst- und Musikszene fortführt.
(In der Altstadt gibt es bereits eine kleine Neustraße. Damit gibt sich P. aber nicht zufrieden. Foto: che)
Ich mache mit dem Smartphone ein paar Fotos des nicht mal 80 Schritte langen Neustraße-Blocks zwischen Grabbeplatz und Mutter-Ey-Straße und schicke sie über Whatsapp an meinen besten Freund P.
Begleitende Nachricht: „Ich habe gerade den optimalen Abschnitt für deine Wunsch-Straße gefunden. Es müsste nur noch jemand die amtliche Umbenennung in die Wege leiten, und dann hätten wir nicht nur eine Klaus-Dinger-Straße, wir hätten sogar eine Klaus-Dinger-Straße, die in eine Neustraße übergeht . . .“
P. schreibt umgehend zurück, noch vom Rennrad aus: Wenn es so weit sei, könne man die ausrufezeichenlosen Neustraße-Schilder ja auch diskret in Neu!straße-Schilder mit Ausrufezeichen verwandeln. Und dann schickt er, der Emoji-Hasser, noch ein Zwinker-Smiley hinterher. Scheint ihn wirklich zu bewegen, die Sache.