Gebündelte Energie, nervöse Spannung, meditative Ruhe

In der Galerie Setareh an der Kö sind 25 Werke aus dem Nachlass des abstrakten Altmeisters Hans Hartung zu sehen.

Foto: Ivo Faber

Eine gelbe Säule, daneben ein blaues Feld. Über den beiden Farbfeldern — ein Bündel von schwarzen Strichen. Wie ein Wasserfall ergießen sie sich über den zarten Farben. Gebündelte Energie — die spürt der Betrachter dieses 1985 entstandenen Bildes schon von Weitem. Und was auf den ersten Blick nach dem Zufallsprinzip aufgebaut scheint oder an eine spontane Geste erinnert, hat Hans Hartung vermutlich genau komponiert.

Zumindest lässt sich — nicht nur an den Rändern der vibrierenden Leinwände — ein Ordnungsprinzip erkennen. Wer war Hans Hartung (1904-1989)? Er hat den deutschen Expressionismus in die Abstraktion geführt. Und gilt, zusammen mit Wols, nach dem Zweiten Weltkrieg, als Begründer der Ecole de Paris. Als andere Maler in den 1920er Jahren noch in expressiv und gegenständlich komponierten, experimentierte Hartung bereits mit Linien und Feldern.

Der in Leipzig geborene Künstler, von Nazi-Kulturschergen als „entartet“ verfemt, lebte und arbeitete nach 1945 in Frankreich und gelangte als deutsch-französischer Künstler erst später zu internationalem Ruhm. Wie die meisten seiner Arbeiten, belegt auch das knapp zwei Meter breite, gelb-blau-schwarze Acryl-Gemälde die Könnerschaft des Mannes, der den Zufall kontrolliert. Von 1945 bis 1965 war Hartung der Star der abstrakten Kunstszene in Paris und wurde 1960 sogar, als Franzose, mit dem großen internationalen Preis der Biennale in Venedig ausgezeichnet. 25 Werke aus dem Nachlass des abstrakten Altmeisters (aus seinen letzten 30 Schaffensjahren) stehen jetzt in der Galerie Setareh an der Königsallee zum Verkauf.

Eine lebendige Museumsschau ist Setareh damit gelungen; denn so gediegen exquisit die Abstraktion Hartungs auch wirken mag — Dynamik und Bewegung inspiriert den Betrachter und beflügelt seine Fantasie. Ob bei kräftig gestisch aufgetragenen Farbbalken oder bei einem Vulkan, der sich gerade in düsteren schwarzen Brocken entlädt.

Oder bei einem schwarzen Wesen, das sich wie eine Krake auf einem blauen Feld ausbreitet. Letzteres ein für Hartung relativ kleines Format (90 Zentimeter breit), das wie eine großzügig hingeworfene Geste wirkt. Stets wittert man Geheimnisse, die sich hinter Hartungs abstrakten Bildern verbergen.

Um sie besser zu verstehen, schauten ihm damals vermutlich die späteren Stars der amerikanischen abstrakten Kunst — wie Jackson Pollock und Marc Rothko — über die Schulter. Für manche Kunstwissenschaftler zumindest, sind diese beiden Big Names der abstrakten Kunst kaum denkbar ohne den Einfluss von Hartung.

Einen Blick über Schulter in seine Werkstatt vermittelt aber auch der Schwarz-Weiß-Film über Hartungs Atelier, der im Tief-Parterre der Galerie zu sehen ist. Dort sieht man, mit welchem Schwung und rasantem Tempo der Meister ans Werk ging — wenn er die Bilder grundierte oder seine berühmt gewordenen tanzenden Linien auf die Leinwand auftrug. Denn Linien tanzen beinah auf allen Gemälden.

Auf manchen Arbeiten, die auf dem internationalen Kunstmarkt und Auktionen mittlerweile sechs- bis siebenstellige Preise erzielen, spürt man eine nervöse Spannung. Aus seinem Todesjahr 1989 stammt ein Opus, auf dem orangefarbene und grüne Felder ineinanderfließen. Daneben sind Wirbel und Strömungen erkennbar, die sich wieder auflösen. Viele der ausgestellten Meisterwerke strahlen vornehmlich aber eine meditative Ruhe aus — und zeugen von einem nachdenklichen Künstler, der den Zufall kontrolliert und sich von Alten Meistern und der viel beschworenen rembrandtschen Dunkelheit inspirieren ließ.

Die Ausstellung „Hans Hartung, eine andere Wirklichkeit“, ist in der Galerie Setareh, Königsallee 27, noch bis Ende Februar zu sehen. Infos gibt es unter Telefon 8282 7171 und hier:

setareh-gallery.com