Gefangen im zwölften Stock: Ruth Kabey (86) hat genug

Nach Tagen ohne Strom und Wochen ohne Aufzug will die Seniorin ausziehen.

Düsseldorf. Ruth Kabey sitzt im Sessel und blickt aus dem großen Wohnzimmerfenster. Aus ihrer Wohnung im zwölften Stock kann sie den Kölner Dom sehen. Heute allerdings nur unscharf: Das Fenster ist von Löschwasser und Asche verdreckt.

Hinter der 86-Jährigen tropft in der Diele dreckiges Wasser aus einem Lüftungsschacht direkt in den Schrank. In der ganzen Wohnung liegt der beißende Geruch von Brandrauch.

Ruth Kabey wohnt in dem Hochhaus an der Potsdamer Straße 45, in dem es allein in diesem Monat schon drei Mal gebrannt hat. Um vor ihre Tür in den dunklen Flur zu gelangen, muss man einen fünfminütigen Aufstieg durch ein mit Hakenkreuzen und Graffiti verschmiertes Treppenhaus auf sich nehmen. Der Aufzug ist seit dem vorletzten Brand vor zwei Wochen defekt. Die gehbehinderte Rentnerin ist in ihrer Wohnung gefangen.

Seit vor einer Woche Lagerräume direkt über Kabeys Appartement brannten, hat sie keinen Strom und kein Wasser. Ernährt hat sie sich von Butterstullen: „Einen Laib Brot hatte ich zum Glück noch zu Hause. Etwas Warmes gab es nicht.“

Mittlerweile funktionieren Strom- und Wasserversorgung wieder, aber ihr Telefon ist seit dem 11. Juli tot. Kabeys Tochter hat ein Handy gebracht — für den Notfall.

Als Ruth Kabey 1973 in das Haus einzog, sei das „eine gute Gegend“ gewesen, sagt sie. Mittlerweile gilt die Potsdamer Straße als einer der sozialen Brennpunkte der Stadt. Die Polizei ermittelt hier mit einer Sonderkommission, der Vermieter, die WVB Centuria, beschäftigt seit Sonntag einen Sicherheitsdienst.

Gestern besucht Luisa Knorr die alte Dame im zwölften Stock. Sie absolviert beim Roten Kreuz im Zentrum Plus nebenan ein Freiwilliges Soziales Jahr. Seit ihrem ersten Tag am 1. Juli hat sie drei Brände mitbekommen.

„Bekannte hatten mich gewarnt, aber dass es hier so schlimm ist . . .“, sagt die 19-Jährige, die täglich bei älteren Hausbewohnern nach dem Rechten sieht. Ob sie wegen des Wassers die Hausverwaltung rufen solle, fragt sie. Antwort: „Ach, da kümmert sich eh keiner.“

Während im 15. Stock eine Brandreinigungsfirma Ruß entfernt, weist Hausverwalter Gregor Pyzik im Eingangsbereich Handwerker ein. Er ist seit etwa einem Jahr für die Centuria tätig, wirkt genervt: „Wir hoffen, dass der Aufzug heute oder morgen läuft. Noch geht der Notruf nicht.“

Die Centuria hatte den Bewohnern angeboten, in das nahe Hotel Acora auszuweichen, bis alles repariert ist. Für viele Ältere wie Ruth Kabey kein Thema. Sie will nun dauerhaft aus dem Hochhaus raus: „Wenn diese tolle Aussicht nicht wäre, wäre ich schon längst weg.“ Bis es soweit ist, muss sie im Brandgeruch ausharren.

Ob sie keine Angst vor dem nächsten Feuer habe? „Ach wissen Sie“, sagt Kabey, „ich habe auch den Bombenkrieg überlebt.“