Düsseldorf Grüttner: „Ich mache keinen Kaiserschnitt ohne einen medizinischen Grund“
Berthold Grüttner leitet die Geburtshilfe im Kaiserswerther Krankenhaus. Kaiserschnitte auf Wunsch lehnt er ab.
Düsseldorf. Immer mehr Babys werden per Kaiserschnitt auf die Welt geholt. Die WZ sprach mit Dr. Berthold Grüttner, leitender Oberarzt der Geburtshilfe im Florence-Nightingale-Krankenhaus, über die Gründe für eine steigende Kaiserschnittrate, verunsicherte Frauen und gewünschte Planbarkeit.
Bundesweit werden immer mehr Babys per Kaiserschnitt auf die Welt geholt. Die Kaiserschnittrate steigt. Trifft das auch auf Ihr Haus zu?
Grüttner: Unser Haus hat in den vergangenen Jahren keine große Veränderung gehabt was die Kaiserschnitt-Rate angeht — sie liegt bei etwa 35 Prozent. Das hängt vor allem damit zusammen, dass wir ein Perinatalzentrum Level 1 mit angeschlossener Kinderklinik, Kinderintensivstation und Frühgeborenenstation sind. Wir haben demnach viele Kaiserschnitte, die nicht aus dem Geburtsverlauf heraus entstehen, sondern wo schon früh feststeht, dass es einen medizinischen Grund für einen Kaiserschnitt gibt. Weil diese Schwangeren extra zu uns kommen, hat ein Perinatalzentrum wie unser Haus immer schon eine höhere Kaiserschnittrate als vielleicht andere Krankenhäuser.
Was sind die medizinischen Gründe für einen Kaiserschnitt?
Grüttner: Wenn das Kind einen offenen Rücken hat, einen offenen Bauch. Wenn beim Kind Fehlbildungen sind, ein Herzfehler bekannt ist. Wenn abzusehen ist, dass das Baby sofort nach der Geburt versorgt werden muss. Wenn das Leben von Baby und Mutter gefährdet ist. Vor der 32. Schwangerschaftswoche wird ebenfalls eher ein Kaiserschnitt empfohlen. Laut einer Studie gibt es bei der Höhe der Kaiserschnittrate große regionale Unterschiede. Düsseldorf liegt bei den geplanten Kaiserschnitten über dem Bundesdurchschnitt.
Woran liegt das?
Grüttner: Düsseldorf hat allein drei Perinatalzentren Level 1. In Köln als Millionenstadt gibt es gerade mal zwei. Demnach ist das Einzugsgebiet unserer drei Zentren deutlich größer. Frauen mit Auffälligkeiten in der Schwangerschaft, die möglicherweise eine Frühgeburt erwarten, kommen extra zu uns. Andere Krankenhäuser mit Level 2 dürfen erst ab einer späteren Schwangerschaftswoche Babys versorgen.
Laut den Autoren der Studie ist es vor allem ein Ermessensspielraum der Mediziner, der den Unterschied in den Raten ausmacht. Was sagen Sie dazu?
Grüttner: Ich kann nur meine eigene Arbeit beurteilen und ich selbst bin kein Freund von der Entbindung per Kaiserschnitt, wenn es nicht wirklich nötig ist. Wenn es nicht zwingende medizinische Gründe gibt. Natürlich schwingt auch immer der Verdacht mit, dass Krankenhäuser aus dem geplanten Kaiserschnitt Vorteile erzielen: Es ist weniger personalintensiv, und der Erlös, den die Krankenkasse dem Krankenhaus gibt, ist deutlich höher als bei der vaginalen Geburt. Ich kann das aber für unsere Abteilung ausschließen. Wir machen die Kaiserschnitte nur, wenn es einen medizinischen Grund dafür gibt. Was alle anderen angeht, muss das jeder für sich entscheiden.
Gibt es denn Frauen, die einen Kaiserschnitt wünschen? Ohne medizinischen Grund?
Grüttner: Ja, das gibt es. Aber seit Januar, seit ich hier bin, ist es deutlich weniger geworden.
Wieso?
Grüttner: Weil ich einen gewissen Ruf habe.
Der da wäre?
Grüttner: Dass ich sehr ausführlich aufkläre. Ich versorge die Frauen mit so vielen Informationen, dass sie eine fundierte Entscheidung treffen können.
Und das hat Ihr Vorgänger nicht gemacht?
Grüttner: Das kann ich nicht beurteilen.
Warum wollen Frauen denn überhaupt einen Kaiserschnitt?
Grüttner: Die Beweggründe sind vielfältig. Häufig hat es etwas mit Angst zu tun. Mit diffuser Angst vor der Situation der Entbindung. Es gibt keinen einzelnen Grund. Wenn diese Angst panikartig wird, findet man mit der Frau auch keine Sachebene. Das sind dann auch Fälle, bei denen ich sage: Ok, dann ist ohne weiteren medizinischen Grund ein Kaiserschnitt sinnvoll. Denn: Wenn man eine Frau in die Situation bringt, vaginal entbinden zu müssen, obwohl sie diese panische Angst hat, dann wird auch die Geburt traumatisch. Es gibt andere Frauen, die die Planbarkeit wünschen. Wo der Mann im Ausland arbeitet und 14 Tage Urlaub hat. Dann soll das Baby geholt werden.
Sind sie verpflichtet, dem Wunsch nach dieser Planbarkeit nachzukommen?
Grüttner: Verpflichtet bin ich nicht. Viele Frauen entscheiden sich dann eher, in ein anderes Krankenhaus zu gehen. Weil ich dem Wunsch nicht entsprechen kann.
Kommt das häufig vor?
Grüttner: Das ist insgesamt eher selten. Aber wie gesagt, ein Ruf macht schnell die Runde. Und dann gehen die Frauen mit einem solchen Wunsch vielleicht einfach von vornherein in andere Krankenhäuser. Eine aktuelle Studie spricht von der Überversorgung der Schwangeren. Es werden mehr Untersuchungen während der Schwangerschaft in Anspruch genommen als nötig.
Woran liegt das?
Grüttner: Das ist wohl ein gesellschaftliches Problem. Viele bekommen ihr erstes und einziges Kind, haben keine Erfahrung und können sich auch keinen Rat in der Großfamilie holen — die gibt es nicht mehr. Dann ist ja nur die Frau mit Partner, die unsicher ist. Und wenn man dann Angebote bekommt, dann neigt man eher dazu, etwas mehr auch in Anspruch zu nehmen. In der Hoffnung, alles richtig zu machen.
Ist es das Angebot oder die Nachfrage?
Grüttner: Ich denke, dass sich das gegenseitig bedingt. Wenn die Nachfrage nicht da wäre, würde es auch niemand anbieten. Ich glaube nicht, dass man Schwangere so sehr beeinflussen kann, dass sie einfach alle Untersuchungen kopflos machen. Es ist häufig eine Verbindung — wie beispielsweise beim Ultraschall.
Wie meinen Sie das?
Grüttner: Paare wollen schöne Fotos ihres Kindes im Mutterleib haben. Diese Fotos kann man als Pränataldiagnostiker nicht machen, ohne die Untersuchung dazu zu machen. Das hat haftungsrechtliche Gründe. Ich muss mir das Kind immer komplett angucken. In fünf Prozent der Fälle finde ich dann eine kindliche Auffälligkeit. Das fängt an bei einem sechsten Finger und endet bei schweren Fehlbildungen des Herzens. Je mehr man guckt, desto mehr findet man.
...und desto früher kann man helfen?
Grüttner: Ja, das schon. Aber neben den fünf Prozent der wirklichen Auffälligkeiten, findet man auch eine ganze Reihe von Veränderungen, die nicht der Norm entsprechen, aber keinen Krankheitswert haben. Das führt dazu, dass wir eine hohe Rate an Frauen haben, wo schließlich doch alles in Ordnung ist, obwohl man dachte, da könnte etwas sein. Das führt natürlich zu Verunsicherungen. Aber eine Lösung sehe ich dafür auch nicht.