Hauptbahnhof-Streife als Praktikum für Polizisten

14 Kommissaranwärter gehen in Düsseldorf erstmals in Uniform auf die Straße. Der Hauptbahnhof ist bei der Bundespolizei bekannt für 24 Stunden Trubel und Verbrechen.

Düsseldorf. Der weinende Junge traut sich kaum, Tim Bomann in die Augen zu sehen. „Können Sie jemanden ausrufen?“ Der Zehnjährige hat seine Schulklasse verloren, auf dem Weg von einem Messebesuch zurück nach Flingern.

Jetzt steht er hilflos zwischen eiligen Passanten im Hauptbahnhof und drängt sich dicht an die blaue Bundespolizeiuniform von Tim Bomann. Wenig später fährt der Polizei-Bully vor dem Haus des Kleinen vor, er fällt seinem Papa erleichtert um den Hals.

Für den Jungen war es ein Schreck mit glücklichem Ausgang. Für den 24-jährigen Kommissaranwärter Tim Bomann eine der ersten prägenden Erfahrungen auf Streife im Düsseldorfer Hauptbahnhof. Seit Anfang des Jahres ist er dort einer von 14 Polizisten im Praktikum.

Die Bundespolizei-Inspektion am Hauptbahnhof ist eine junge Truppe. Gleich 15 frische Polizeimeister wurden im vergangenen Jahr direkt nach Abschluss der Ausbildung eingestellt, auch unter den Versetzungen nach Düsseldorf waren zahlreiche junge Beamte. Ausgerechnet Hauptbahnhof?

„Gerade Hauptbahnhof!“, sagt Tobias Weißenborn, der ebenfalls erst im April 2010 die Ausbildung beendete. Drogenszene, betrunkene Altstadtbesucher, zugedröhnte Diskogänger, dazwischen Geschäftsleute, Touristen. „Ich habe hier fast jede Straftat erlebt, die es so gibt“, sagt Weißenborn (24).

Tatsächlich plagen die Inspektion am Hauptbahnhof keinerlei Nachwuchssorgen, vielmehr seien gerade die Jungen gewillt, sich dort ihre Nächte um die Ohren zu schlagen. „Wir haben hier das wohl größte Spektrum der Polizeiarbeit“, sagt Sprecher Armin Roggon. Die Zahl der Einsätze liege sogar über denen am größeren Kölner Hauptbahnhof. „Dass hier etwas los ist, ist innerhalb der Bundespolizei bekannt“, sagt Weißenborn.

Das will auch Tim Bomann erleben. Vier Praktika absolviert er während seines dreijährigen Fachhochschulstudiums. Für sechs Wochen ist er jetzt zuerst in Düsseldorf. „Ich bin das erste Mal richtig auf der Straße“, sagt der 24-Jährige — nach anderthalb Jahren Theorie. Eine Verfolgungsjagd zu Fuß durch die Innenstadt hat er schon mitgemacht, der mutmaßliche Junkie entkam.

In einer der ersten Schichten lief plötzlich ein Mann auf die Polizisten zu und rief: „In der U-Bahn fuchtelt einer mit ’nem Messer!“ Eine Treppe bis zum Bahnsteig hatte der Praktikant Zeit zu überlegen, was ihn erwartete, was er tun könnte. „Da geht der Puls hoch“, sagt er. Zum Glück ließ der Angreifer die Waffe sofort fallen, als die Polizisten eintrafen.

Sechs Wochen lang gehen die 14 Kommissaranwärter mit auf Streife. Unterwegs mit Polizeimeister Tobias Weißenborn soll sich Tim Bomann auch etwas abgucken, was er nicht im Hörsaal lernen kann: Wie man die 250 000 Gesichter, die täglich in der Bahnhofspassage zu sehen sind, scannt, beurteilt. Auf alles, was verdächtig ist.

„Bauchgefühl“, nennt Weißenborn die einzige Methode, die es dafür gibt. Wer hält meinem Blick stand? Wer fummelt ganz plötzlich an den Hosentaschen herum? Wer wechselt auf die andere Seite des Gangs?

„Schon nach wenigen Monaten hatte ich fast keine ,negativen’ Kontrollen mehr“, sagt der 24-Jährige. Sprich: Wen er überprüft, der hat auch in der Regel etwas auf dem Kerbholz. Der Hauptbahnhof ist ein Lehrstück. Aber ein anstrengendes.