Jüdische Geschichte: Das Schicksal der Familie Grossmann
Neben der Debatte um das Hönscheidt-Jubiläum gibt es die Realität konkreter Menschen.
Gerry braucht fast 70 Jahre, bis er sich entschließt, seine Geburtsstadt noch einmal wiederzusehen. 2008 reist er schließlich mit seiner Tochter nach Düsseldorf und besucht mit ihr auch den jüdischen Friedhof, welcher ein Teil des Nordfriedhofs ist. Dort liegt Gerrys Vater begraben, Fritz Grossmann, von dem in diesen Tagen so viel gesprochen wird.
In der Debatte um historische Gewissheiten jedoch kann man die Lebenswirklichkeit einer konkreten Familie leicht aus den Augen verlieren. Die Grossmanns waren Düsseldorfer und haben ihren Alltag zu einer Zeit bestritten, als Gerry noch Gerd hieß und die Schule an der Kreuzstraße besuchte, bevor er mit seinem Bruder Werner, der sich heute Warren nennt, auf der Jüdischen Volksschule angemeldet wurde.
Ihr Vater führte das Geschäft „Alsberg & Co.“ an der Schadowstraße, welches Bettwäsche und Babykleidung verkaufte. Die Familie lebte in der Wohnung über den Geschäftsräumen. Grossmanns Schwiegermutter war eine geborene Alsberg und entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie, die im gesamten Rheinland Geschäfte unterhielt. 1938 verkaufte Fritz Grossmann den Familienbetrieb an Werner Hönscheidt, der anscheinend für Grossmann arbeitete. Davon gehen zumindest Historiker der Mahn- und Gedenkstätte aus. Heute leitet Hönscheidts Enkelin das Geschäft.
Grossmann brauchte damals Geld. Wie viele andere Düsseldorfer Juden plante auch er, Deutschland zu verlassen. Seit den Novemberpogromen im Jahr 1938 war für sie der Verbleib in der Heimat lebensgefährlich geworden.
Schweren Herzens entschieden sich Fritz Grossmann und seine Frau Martha, ihre Söhne als erste fortzuschicken. Mit einem der Kindertransporte fuhren Werner und Gerd im Jahr 1939 nach England. Es war ihre Rettung. „Manche Eltern mit zwei und mehr Kindern erhielten später nur noch einen Platz. Sie mussten sich entscheiden, welchem ihrer Kinder sie ein Überleben sicherten“, sagt Hildegard Jakobs, stellvertretende Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte.
In demselben Jahr, in dem Fritz Grossmann seine Söhne fortgegeben hatte, versuchte er nach Belgien zu flüchten, um von dort seine Frau und seine Mutter Rosalie Grossmann nachzuholen. Vermutlich im Raum Aachen wurde er jedoch festgenommen, zunächst nach Dachau und schließlich nach Buchenwald deportiert, wo er angeblich an einer Lungenentzündung starb. Seine Urne gelangte zurück nach Düsseldorf. „Man muss dazu allerdings wissen, dass Juden ihre Toten aus religiösen Gründen nicht verbrennen“, sagt Bastian Fleermann, Leiter der Mahn- und Gedenkstätte.
Grossmanns Ehefrau Martha und seine Mutter lebten noch bis 1941 in Düsseldorf, in der Talstraße 3. Die Wohnung an der Schadowstraße hatten sie nicht mehr bezahlen können. 1942 sind beide Frauen tot, von den Nazis ermordet.
Die beiden Söhne wachsen in England bei Pflegefamilien und in Internaten auf. Werner Grossmann macht eine Ausbildung zum Bäcker, sein Bruder Gerd verdient sein Geld als Autohändler. Sie leben heute in den USA und in Kanada.