Prozess "Kanaken weggesprengt": Prozess gegen mutmaßlichen Wehrhahn-Bomber

Ein Gefangener prahlte vor vier Jahren, er habe "an einem Bahnhof Kanaken weggesprengt". Das brachte ein riesiges Ermittlungsverfahren um den weltweit beachteten Bombenanschlag auf jüdische Zuwanderer in Düsseldorf in Gang.

Foto: Gero Breloer/dpa

Düsseldorf. Auf dem Körper von Ralf S. prangt eine Tätowierung, die es in sich hat, wie ein Gutachter sagt: Sie soll die Wewelsburg bei Paderborn und ein Hakenkreuz zeigen. Die Burg war während der NS-Zeit eine sogenannte SS-Ordensburg. Der 51-jährige Träger der Tätowierung steht vom kommenden Donnerstag (25. Januar) an in Düsseldorf wegen zwölffachen Mordversuchs vor Gericht. Aus Fremdenhass soll er am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn vor 18 Jahren einen Bombenanschlag begangen haben.

Am 27. Juli 2000 um 15.03 Uhr war dort eine ferngezündete Rohrbombe explodiert, gefüllt mit dem Sprengstoff TNT. Die überwiegend jüdischen Opfer kamen vom Deutschunterricht an einer Sprachschule. Von der zwölfköpfigen Gruppe wurden zehn Menschen verletzt.

Jahrelang schien der Fall trotz gewaltigen Aufwands der Ermittler nicht aufzuklären zu sein. 1500 Menschen wurden befragt, mehr als 300 Spuren verfolgt, 450 Beweisstücke gesammelt. Für viel Geld kauften die Ermittler einen Spezialdetektor, um im Bahngelände Partikel des Zünders zu finden. Vergeblich.

Das Bild vom 27.07.2000 zeigt Rettungskräfte, die vor dem Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn Verletzte versorgen.

Foto: Christian_Ohlig

Doch 2014 bahnte sich der Durchbruch an: Ralf S. soll, als er in anderer Sache im Gefängnis saß, einem Mitgefangenen erzählt haben, er habe „an einem Bahnhof Kanaken weggesprengt“.

Nun muss Ralf S., der damals in der Nähe des Tatorts einen Militaria-Laden betrieb, als Waffennarr galt und sehr schnell unter Verdacht geriet, doch noch auf die Anklagebank. Dort wird der Strafrichter zu entscheiden haben, ob der Wehrhahn-Anschlag ein weiteres rechtsterroristisches Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik war. Bis Juli sind 40 Verhandlungstage angesetzt.

Einfach wird der Prozess wohl nicht. Der Angeklagte bestreitet seine Täterschaft hartnäckig. Monatelang hat der Ex-Soldat den Behörden Briefe aus der U-Haft geschickt. Sein Verteidiger Olaf Heuvens zieht die belastenden Aussagen, die die Anklage zusammengetragen hat, in Zweifel: „Wieso sollte mein Mandant einem Gefangenen, den er kaum kannte, so etwas erzählen?“ Der Anwalt sieht in den ausgelobten 63 000 Euro Belohnung eine mögliche Motivation. „Viele belasten ihn komischerweise jetzt“, sagt Heuvens der Deutschen Presse-Agentur.

Doch Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück ist überzeugt: Wenn man alle belastenden Indizien gegen den Angeklagten zusammen sehe, „ist die Beweislast erdrückend“. Durch die 100 Meter weit reichenden Metallsplitter der Bombe waren nicht nur zehn Menschen schwer verletzt worden - ein ungeborenes Baby wurde im Mutterleib getötet. Strafrechtlich ist dies nicht als Tötungsverbrechen zu greifen. Bei einem mitgeschnittenen Telefonat hat sich der Ex-Militaria-Händler aus Sicht der Ermittler an diesem Punkt auf zynische Weise verplappert: Das sei doch „nur Abtreibung“, was er gemacht habe, sagte er - und verbesserte sich dann: „gemacht haben soll“.

Eine Ex-Freundin ist inzwischen von Ralf S. abgerückt, hat sogar ausgesagt, die selbstgebaute Rohrbombe in dessen Küche gesehen zu haben. In der Wohnung des Angeklagten fand man den Sicherungssplint einer Handgranate. Die Ermittler gehen davon aus, dass S. den Sprengstoff aus fünf bis sechs Handgranaten verwendet hat, die aus seiner Bundeswehrzeit stammen dürften. Doch der behauptet, der Splint sei ein Erinnerungsstück - an seine erste von ihm bei der Bundeswehr gezündete Granate.

Bei der Armee soll er gelernt haben, Sprengsätze in einer Colaflasche zu verstecken - so wie die Rohrbombe, die in einer Plastiktüte an einem Geländer des S-Bahnhofs hing. Der in akuten Zahlungsschwierigkeiten steckende Mann hatte damals eine zweite Wohnung angemietet. Nur um in Ruhe seine Bombe bauen zu können, wie die Ermittler inzwischen glauben.

Kurz nach dem Anschlag soll er zudem einen stadtbekannten Neonazi angerufen und ihn - vergeblich - um ein Alibi gebeten haben. Eine weitere Zeugin will ihn beim Ausspähen des Tatorts beobachtet haben.

Der Verdächtige beteuert, zu Hause gewesen zu sein, als die Bombe unweit seiner Wohnung ferngezündet wurde - just in dem Moment, in dem die Gruppe überwiegend jüdischer Sprachschüler die Stelle passierte. Wie denn sein Hund auf den Knall der Explosion reagiert habe, wollte ein Ermittler von Ralf S. wissen. Wie er das denn wissen solle, der „war doch zu Hause“, entgegnete der Verdächtige - aus Sicht der Ermittler hat er sich damit ein weiteres Mal verraten. dpa