Düsseldorf 17 Jahre nach Wehrhahn-Anschlag: Die Anklage setzt auf Indizien
Im Sommer 2000 explodierte eine Bombe an der Bahnhaltestelle in Düsseldorf. Die zehn verletzten Opfer waren überwiegend jüdische Einwanderer. Die Staatsanwaltschaft bringt jetzt Ralf S. auf die Anklagebank.
Düsseldorf. Je länger es dauert, bis ein Verbrechen aufgeklärt werden kann, desto unwahrscheinlicher ist es, dass der Täter überführt werden kann, weiß der Kriminalist. Im Falle des Anschlags Am Wehrhahn, bei dem zehn Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt wurden und ein ungeborenes Baby starb, hat es fast 17 Jahren gedauert, bis die Staatsanwaltschaft einen Verdächtigen präsentieren konnte. Am Donnerstag wurde die mehr als 250 Seiten starke Anklageschrift vorgelegt. Wegen zwölffachen versuchten Mordes und dem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion soll sich Ralf S. verantworten müssen. Wie Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück erklärte, sollen 96 Zeugen gehört werden.
Fünf der Opfer wollen als Nebenkläger auftreten. Die Anklage basiert vor allem auf Zeugenaussagen. Hinzu kommen Aufnahmen aus der telefonischen Überwachung. Dabei soll sich Ralf S. mehrfach „verplappert“ haben. „Außerdem wurden bei Durchsuchungen unter anderem eine Anleitung zum Bau eines elektrischen Zünders und ein Handgranaten-Splint gefunden“, so Herrenbrück. In der Summe sei die Beweislage „erdrückend“.
Am 31. Januar war Ralf S. verhaftet worden. Den inzwischen 50-Jährigen, der Verbindungen zu Rechtsradikalen hat, hatten die Ermittler schon unmittelbar nach der Tat im Visier. Doch man konnte dem Mann, der in der Nähe der S-Bahnstation einen Militaria-Laden betrieb, lange nichts nachweisen. Erst nachdem er sich vor einem Mithäftling mit der Tat gebrüstet haben soll, wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Eigentlich sollte die Anklageschrift bis Juli vorgelegt werden. Dass es bis jetzt gedauert hat, liegt nicht nur an den umfangreichen Akten. Vielmehr wird es sich um einen reinen Indizien-Prozess handeln, wenn die Anklage so zugelassen wird.
Ralf S., der eine Geldstrafe absitzen musste, soll vor drei Jahren in der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel einem Mithäftling den Anschlag gestanden haben („Denen habe ich es gezeigt“). Der hatte sich daraufhin an die Polizei gewandt. Rechtsanwalt Olaf Heuvens hat daran Zweifel: „Jahrelang ist gegen meinen Mandanten intensiv ermittelt worden. Auch V-Leute waren im Einsatz. Der wusste, dass er niemandem trauen konnte. Warum sollte er nach so vielen Jahren einem fremden Mann die Tat gestehen, mit dem er nicht einmal im gleichen Hafttrakt sitzt? Das ist nicht logisch.“
Auch mindestens zwei weitere Zeugen sollen sich inzwischen daran erinnert haben, dass Ralf S. die Tat ankündigte. Und auch seiner Ex-Freundin fiel nach 17 Jahren plötzlich wieder ein, dass sie damals die Bombe im Zimmer gesehen hatte und danach zwei Tage nicht schlafen konnte. Dazu muss man wissen, dass Ralf S. ein Messie ist, in seiner Wohnung das absolute Chaos herrschte, und der Sprengkörper, der eine so verheerende Wirkung hatte, ungefähr zehn mal sechs Zentimeter groß war. Warum die Zeugin bei den ersten Vernehmungen noch Erinnerungslücken hatte, ist unklar. Allerdings soll Ralf S. ihr einen fünfstelligen Geldbetrag schulden.
Was in der Anklageschrift fehlt, sind harte Beweise. An den Resten der Bombe wurden zum Beispiel keine DNA-Spuren von Ralf S. gefunden. Olaf Heuvens: „Es wurden DNA-Spuren gefunden. Die stammen aber nicht von meinem Mandanten.“ Wie Ralf Herrenbrück erklärte, handelte es sich dabei allerdings nicht um „tatrelevante DNA-Spuren“.
Unbestritten ist, dass Ralf S. eine komplexe Figur ist. Ein Mann, der gerne redet und Kontakte zur rechtsradikalen Szene hat. Dort wird er allerdings nicht ernst genommen und gilt als Außenseiter. Unmittelbar nach dem Anschlag gab es die Theorie, dass die Bombe, die in einer Plastiktüte am S-Bahnhof versteckt war, vom Militaria-Laden des 50-Jährigen gezündet werden konnte. Das allerdings blieb reine Spekulation. Beweise dafür gibt es nicht.
Zuletzt hatte Ralf S. seine Dienste als Survival-Trainer angeboten. Einen normalen Job fand er schon lange nicht mehr, im Internet kursiert sein voller Name seit den ersten Verdächtigungen. Die Verhaftung hat weitere Konsequenzen gehabt. „Er hat gerade seine Wohnung verloren. Und seinen Wohnwagen hat die Polizei einfach im öffentlichen Verkehrsraum abgestellt. Der wurde ausgeräumt“, sagt sein Verteidiger. Für Olaf Heuvens ist nicht nachvollziehbar, warum sein Mandant überhaupt im Gefängnis sitzen muss: „Fast 17 Jahre standen die Vorwürfe im Raum. Da hätte er alle Zeit der Welt gehabt, um sich abzusetzen. Hat er aber nicht.“