Künstler arbeiten sich am Social Media ab
Die Ausstellung „Affect me“ in Kai 10 befasst sich mit Bildern der weltweiten Bezüge, die das Internet herstellen kann.
Im Jahr 2013 erschien der Begriff Social Media erstmals im Duden. Gemeinsam mit dem Begriff Web 2.0 steht er für den Austausch von „Usern“ im Internet. Soziale Beziehungen, Meinungen und Gefühle lassen sich so für jedermann neu organisieren. Diese interaktive Bühne des Internets wird in Kai 10 thematisiert, dem Privatmuseum der Arthena Foundation unter Monika Schnetkamp im Medienhafen.
Ausgangspunkt der Ausstellung ist ein Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin, das der weltweiten Affektgemeinschaft gilt. Kerstin Schankweiler betreut es federführend. Sie kennt sich aus im Zeitalter von Facebook, Twitter und Co. Sie weist zugleich darauf hin, wie auch bildende Künstler daran interessiert sind. Sie entnehmen aus den Bildermassen Themen, in denen es um globale Krisen, Protestsituationen und Straßenszenen mit Aktivisten im virtuellen Raum geht. Das gepostete Allerlei interessiert hingegen nicht.
Die digitale Schau, die Kerstin Schankweiler zusammen mit Julia Höner von Kai 10 kuratiert, startet mit Thomas Ruff. Er gilt als erster Global Player mit Bildern aus dem Internet. Er war im September 2001 selbst in New York, als die Twin Towers in sich zusammenbrachen. Aber er nahm nicht eigene Fotos, sondern arbeitete mit den zirkulierenden Bildern. Das heißt, er bevorzugte die verwackelten, eher unscharfen Amateuraufnahmen und bearbeitete sie. Bei der Transformation in das große Format nahm die Speicherqualität ab. Gerade in diesem Spiel mit Schärfen und Unschärfen ist es ihm möglich, die Zwillingstürme zu Ikonen der Ruine zu machen.
Anders der Libanese Rabih Mroué. Ihn schockierte das Phänomen, dass sich Oppositionelle und Demonstranten im syrischen Bürgerkrieg 2011 filmten, während sie selbst getroffen wurden. Unklar bleibt, wer die Täter und wer die Opfer sind. Am Ende seines Videos sieht man stets, wie die Kamera zu Boden fällt.
Manche Szenen lassen sich nicht sofort verstehen. So zeigt Lara Baladi ein Motiv, das an Maria und Josef auf dem Weg nach Bethlehem erinnert. Wäre da nicht ein muslimischer Geistlicher. Es ist auch kein Esel dabei, sondern ein flottes Motorrad. Damit werden Verwundete aus der Schusslinie der Protestler gegen den Präsidenten Husni Mubarak auf dem Tahrir Platz geholt und ins Krankenhaus gebracht. Die Künstlerin agiert zugleich als Archivarin, um die Bildzeugnisse der Auflehnung gegen staatliche Repressionen für die Nachwelt zu bewahren. Sie floh aus Kairo und arbeitet derzeit am MIT in Boston.
Visuell am einprägsamsten ist die Arbeit von Thomas Hirschhorn. Er klebt die Bilderflut aus den Medien auf die lange Schleppe eines Brautkleids, mit dem eine Schaufensterpuppe dekoriert ist. Die Hochzeit als Glücksmoment trägt nun zugleich Züge von Elend und Tod.
Info: Kai 10, Affect Me, bis 10. März 2018