Als der Postbote sich weigerte, so viel Goldmark zu bringen
Heiter Müller-Schlösser (86), Sohn des Autors Hans Müller-Schlösser, schildert seinen Vater, dessen Wibbel und Marotten.
Düsseldorf. Am 14. Juli 1913 wurde „Schneider Wibbel“ am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt, fast hundert Jahre vor der jetzigen Aufführung im Savoy-Theater. Der Autor Hans Müller-Schlösser spielte selbst mit. Sein Sohn Heiter lebt als Künstler in Düsseldorf.
Welche Szene im Wibbel hat denn Ihr Vater besonders geliebt?
Heiter Müller-Schlösser: Wo Wibbel für tot erklärt wird. Als ein Polizist mit der Nachricht vom vermeintlichen Ende ihres Mannes zu Frau Wibbel kommt, hört er im Kabuff alles mit. Nun kommt er in völliger Verzweiflung aus dem Versteck und sagt: „Ich bin tot. Ich werde begraben mit Kreuz und Fahne.“ Mein Vater war sehr stolz auf diese Szene.
Wie kam es denn zur Aufführung?
Müller-Schlösser: Paul Henckels führte Regie und spielte den Anton Wibbel. Er war mit meinem Vater in eine Klasse gegangen. Mein Vater gab einen Hausierer, der zur Feierlichkeit der Beerdigung einfach seine Schnürsenkel im Bauchladen anbietet, weil er dann immer ein Schnäpschen bekommt. Auch das ist eine wunderbare Szene. Er bekommt von der Frau Wibbel einen Schnaps und sagt: „Einer folgt dem anderen nach. Und sie gehen alle den gleichen Weg.“ Dann bekommt er noch einen zweiten und einen dritten Schnaps.
Was war der Vater von Beruf?
Müller-Schlösser: Er schrieb für die Düsseldorfer Nachrichten sogenannte Schnurren, kurze, sehr geistreiche, komische Erzählungen über Düsseldorf und seltsame Düsseldorfer. Schon als Pennäler textete er 1903 eine „Sekundanerliebe“ als Aprilscherz. Da hieß er noch Hans Müller. Den Doppelnamen Müller-Schlösser nahm er an, weil seine Mutter eine geborene Schlösser war. Er sagte sich, Müller sei zu wenig für einen Schriftsteller.
Wie kam es zu Ihrem Vornamen Heiter?
Müller-Schlösser: Die Verwaltung wollte den Namen nicht anerkennen, aber mein Vater sagte: „Wenn es einen Ernst gibt, muss es auch einen Heiter geben.“
Ihr Vater lebte von 1884 bis 1956. Wie war sein Leben?
Müller-Schlösser: Mein Vater war zweimal verheiratet, er hatte drei Kinder aus der ersten Ehe und zwei aus der zweiten. Zur Scheidung gab er seiner ersten Frau das schöne Haus Am Steg in der Niederrheinstraße, gleich vor Kaiserswerth. Wenn er mit seinem alten Ford an dem Haus vorbeifuhr, sagte er „Ich Esel“. Der Vater war sehr witzig, sehr komisch, sehr geistreich und sehr belesen. Er war wibbelig, aber er konnte auch plötzlich in eine leicht melancholische Stimmung verfallen. Er hatte das Hohenzollern-Gymnasium besucht, den „Kasten“, das heutige Görres-Gymnasium. Griechisch und Latein waren für ihn selbstverständliche Sprachen.
Sie stammen aus seiner zweiten Ehe. Wer war Ihre Mutter?
Müller-Schlösser: Maria Adolphs aus Ratingen. Ihr Vater hatte eine Geldschrankfabrik, ein traumhaftes Grundstück von 22 Morgen (5,5 Hektar), auf dem ich gern spielte, und einen See von acht Morgen. Dort lebte auch der Maler Peter Brüning, der Vetter meines Vaters. Ich bin dort groß geworden — obwohl ich mit meinen 1,58 Metern nie wirklich groß geworden bin.
Sie lebten aber doch in Gerresheim?
Müller-Schlösser: Ja, auf dem Quadenhof. Dann zogen wir auf die Kaiserswerther Straße 164 in eine städtische 200-Quadratmeter-Wohnung mit hohen Decken. Viel zu teuer. Aber mein Vater hatte ja durch seine Stücke auch gut verdient. Zuerst wohnten wir in der fünften Etage und blickten vom Balkon über die damaligen Felder. Als meinem Vater das Treppensteigen zu viel wurde, sind wir ins Parterre gezogen, auf 260 Quadratmeter. Mein Vater wandelte jeden Morgen gemächlich und ruhig zur Straßenbahn, mit einem Ententeich-Hut auf dem Kopf, einem flachen Hut mit Delle. Er fuhr in sein Büro im Wilhelm-Marx-Haus, das ihm die Stadt zur Verfügung gestellt hatte. Dort gab es außer dem Schreibtisch eine Couch, wo er im Liegen überlegen konnte.
Die Stadt hat ihn hofiert?
Müller-Schlösser: Ja, und meine Schwester hat dafür gesorgt, dass der gesamte Nachlass der Stadt vermacht wurde. Der Vater war sehr beliebt in Düsseldorf. Er war im Vorstand der Düsseldorfer Jonges, die ihm die Jan-Wellem-Plakette verliehen. Der Bäckermeister Weidenhaupt von der Bolkerstraße, der mit dem Vater zur Schule gegangen war, hat ihn zu den Jonges gebracht.
Der Wibbel wurde in den 20er und 30er Jahren sehr häufig gespielt. Brachte das Reichtum?
Müller-Schlösser: Mein Vater erzählte mir, er habe so viele Goldmark daran verdient, dass der Postbote sich weigerte, mit dem vielen Geld zu ihm zu gehen. Er solle es selbst bei der Post abholen. Heute verbleibt uns fünf Erben und deren Kindern nicht viel Tantieme übrig. Aber ein Gläschen Bier kann ich mir dann doch leisten.
Wer ist denn bekannter, Ihr Vater oder sein Stück?
Müller-Schlösser: Man kennt den Autor und seine Familie kaum noch. Ich habe im Savoy angerufen und gesagt, ich möchte gern die Aufführung meines Vaters besuchen. Die Antwort war: Wie bitte? Da muss ich erst mit der Intendanz sprechen.
Zusatz-Vorstellung „Schneider Wibbel“: 24. Januar, 19.30 Uhr, im Savoy, Graf-Adolf-Straße 47. Tickets unter der Tel. 36 99 11.