Brillant: Moritz Führmann liest Thomas Mann
Mit seiner „Tristan“-Lesung forderte der Mime das Publikum. Am Ende gab es Ovationen.
Düsseldorf. Moritz Führmann ist zurück am Ort seines größten Bühnenstreichs. Vor zwei Jahren brachte sein Schneider Wibbel bei jeder Vorstellung das Publikum im Saal zum Mitsingen. Am Samstag stand er wieder auf der Bühne des Savoy. Wieder in einer komödiantischen Rolle, aber diesmal — fast — alleine. Begleitet vom Pianisten Klaus-Lothar Peters liest Führmann aus Thomas Manns Novelle „Tristan“. „Hier ist Einfried, das Sanatorium“. So beginnt Führmann den Text, und er tut es mit großer Geste. Der schwarze Smoking steht ihm gut und für die unglaublich überhebliche Art, mit der er den langen Seidenschal über die Schulter wirft, bekommt er gleich die ersten Lacher und Szenenapplaus. Ein guter Einstand für Führmann.
„So kann es weitergehen“, mag sich manch einer im Publikum denken. Tut es aber nicht. Und das liegt gar nicht mal an Führmann, der alle Charaktere spricht und ihnen unverwechselbare Züge gibt. Es liegt am Stück. Mann hat es zwar komödiantisch angelegt, er bezeichnete es sogar als „Burleske“. Eigentlich aber ist es eine Charakter- und Gesellschaftsstudie, eine Fingerübung für den „Zauberberg“. Dass nicht jeder damit einen gelungenen Abend assoziiert, sieht man nach der Pause: Etliche Sitze bleiben frei. Diese Zuschauer verpassen, wie der Schauspieler die Figuren gegeneinander antreten lässt: den vitalen, aber vulgären Kaufmann Klöterjahn, dessen fragile musische Frau — und den erfolglosen Schriftsteller Spinell, der sich zwischen die beiden drängt.
Heilung sucht Spinell jedenfalls nicht im Sanatorium — er ist wegen des Stiles vor Ort: „Es ist ganz in Empire gehalten — es hebt mich sittlich.“ Das hat er auch nötig. Wie Führmann die lüsterne Ergriffenheit spielt, mit der Spinell die Klöterjahn umgarnt, sie zur Göttin oder wenigstens zu einer Königin erhebt — das ist schon stark. Wenngleich er dem Dichter auch kaum einen sympathischen Zug lässt. „Der verweste Säugling“, wie er von einem Mitpatienten wegen seines Äußeren — „plump, aufgedunsenes Gesicht, kariotische Zähne und absurd große Füße“ - bezeichnet wird, liest fortwährend in einem Buch — seinem eigenen.
Darstellerischer Höhepunkt des Abstoßenden: „Spielen Sie Chopin, die Nocturnen“, fordert Führmanns Spinell die Klöterjahn auf. Dabei zieht er zischend den Speichel aus den Mundwinkeln hoch und greift mit langen Fingern gierend nach ihr. Eine Darstellung, die Klaus Kinski in „Nosferatu“ zu Ehre gereicht hätte. Fiebrige Ergriffenheit und Verletzlichkeit, eine der stärksten Szenen des Abends. Nach anderthalb Stunden Rezitation schließt Führmann den Abend mit einem Seufzer der Erleichterung. Minutenlanger Applaus und stehende Ovationen für ihn und Klaus-Lothar Peters. Für Mann-Freunde ein gelungener Abend.