Statisten auf der Bühne: Morgens Uni, abends Rampenlicht
Für den einen Augenblick nehmen Statisten viel in Kauf: Sie posieren als Gogo-Girl, spielen Gebüsch und ertragen langwierige Proben.
Düsseldorf. Die Sänger in Wagners Wallküre laufen gerade zur Hochform auf, als eine der Leichen ein menschliches Bedürfnis drückt. Die beiden Statisten hatten jeder zwei Bierchen gezischt, welche nun Wirkung zeigen. Also kriecht der Mann ganz sachte von der Bühne, um dem nachzugeben. Tobias Richter soll damals getobt haben, denn dem Intendanten war natürlich aufgefallen, dass eine Leiche plötzlich fehlte.
Ob sich diese Geschichte im Detail so zugetragen hat, möchte Michal Matys nicht beschwören. Denn das war lange, bevor er die Leitung der Statisterie an der Oper übernahm. Eins jedoch versichert er mit Nachdruck: Ein bisschen verrückt dürfen Statisten gerne sein, aber auf gar keinen Fall unzuverlässig. „Viele Menschen glauben, bei einem Statisten zähle in erste Linie das richtige Aussehen. Das stimmt aber nur begrenzt. Wichtig ist, dass wir auf jemanden zählen können“, sagt Matys.
Das richtige Aussehen — im Fall von Lars Hollenhorst waren es 197 Zentimeter, die ihn vor fünf Jahren in der Inszenierung „Lady Macbeth“ erstmals als Statisten auf die Opernbühne brachten. „Auf dem Burgplatz verteilte jemand Zettel, auf denen stand, dass die Oper große Männer sucht. Also bin ich hin und geblieben.“ Seither gehört er zum festen Stamm von rund 50 Statisten, die regelmäßig eingesetzt werden. „Damals war ich gerade frisch an der Fachhochschule und hatte somit genug Zeit“, sagt der 31-Jährige. „Die braucht man auch, denn man muss immer verfügbar sein.“
Arbeiter im Blaumann, Urschrei-Schreier, Polizist, Gefangener, Clown oder Dornenbusch — als „schöner Ausgleich“ dient dem angehenden Ingenieur der musische Nebenjob, den er hauptberuflich nicht machen möchte.
Theresa Kellermann schon. Die 25-jährige Germanistikstudentin hat bereits als Regieassistentin am Schauspielhaus gearbeitet und kann sich sehr gut vorstellen, später einmal „etwas auf oder hinter der Bühne zu machen“. Sie ist seit einem Jahr Statistin und hatte einen denkwürdigen Start, als sie auf einen Aushang in der Heinrich-Heine-Universität reagierte. „Die Regisseurin Sabine Hartmannshenn suchte junge Frauen und Männer für ihre Inszenierung ,The Rake’s Progress’. Und da ich gerade Geld brauchte und einen Job suchte, der mit meinem Studium zu tun hat, bin ich zum Casting gegangen.“ Erst dort erfuhr sie, dass sich die Statisten halbnackt auf der Bühne würden zeigen müssen, was sie jedoch nicht weiter störte. Also ließ sie sich ein paar Monate später als barbusiges Gogo-Girl auf einem Teewagen auf die Bühne schieben.
Vor diesem Hintergrund gewinnt ein weiteres Statisten-Kriterium, das Matys neben der Zuverlässigkeit nennt, deutlich an Gewicht: „Sie müssen Enthusiasten sein.“ Noch besser: geduldige Enthusiasten. Denn es kommt vor, dass manchmal stundenlang gar nichts passiert, die Statisten sich jedoch bereit halten müssen. „Wenn ein Sänger 30 Sekunden an einem Stein steht, während die Sonne aufgeht, bedeutet das im Vorfeld eine mindestens dreißigminütige Lichtprobe mit einem Statisten“, erklärt Matys. Der 37-Jährige kennt das System Oper bestens, da er noch bis vor zwei Jahren für das Ballett am Rhein tanzte. Zunächst bei Spoerli, dann viele Jahre bei Youri Vamos und zuletzt bei Martin Schläpfer.
Musikalisches Verständnis ist für die Tätigkeit eines Statisten bei der Oper nicht zwingend notwendig, da dieser nicht den Tönen, sondern den Anweisungen des Inspizienten folgt. Schaden kann ein Grundwissen jedoch auch nicht, wie eine weitere Geschichte aus Wagners Wallküre zeigt: Bei einer Probe zum dritten Akt erklärt der Regieassistent einem Statisten, sein Auftritt sei just in dem Moment, in welchem der Wallkürengruß „Hojotoho“ ertöne. Als es soweit ist, bleibt der Statist jedoch wie erstarrt sitzen. Matys fragt ihn später, warum er nicht reagiert be und erhielt eine plausible Antwort: „Woher soll ich wissen, welcher der richtige Moment ist. „Hojotoho wird ja zig Mal gesungen.“