Düsseldorfer Schauspielhaus Chefdramaturg im Interview: „Wir fräsen uns überall in die Stadt hinein“
Robert Koall ist Chefdramaturg am Schauspielhaus. Der gebürtige Kölner weiß, wie wichtig die erste Theater-Saison ist.
Das Schauspielhaus hat sich über die Stadt verteilt, nicht nur was die Spielstätten angeht — Zelt auf der Kö, Central am Hauptbahnhof, Junges Schauspiel an der Münsterstraße. Chefdramaturg Robert Koall ist mit Wilfried Schulz aus Dresden gekommen, hat sein Büro im ehemaligen Balletthaus in Oberkassel bezogen. Ihm gefällt’s.
Herr Koall, Sie sind 1972 in Köln geboren, waren 25 Jahre außerhalb des Rheinlands unterwegs und kommen jetzt zurück. Wie fühlt sich das an?
Robert Koall: Es ist so toll, wieder hier zu sein. Ich wohne jetzt in Grafenberg und habe in dieser Woche meine Tochter eingeschult. Mir geht das Herz auf, wenn ich aus dem Zug steige und diese schreckliche 50er/60er Jahre Architektur sehe. Und endlich auch mal wieder eine Stadt mit Büdchen.
Was schätzen Sie, wie viele Menschen kennen Ihr Eröffnungsstück „Gilgamesh“?
Koall: Es ist ja eine Art Gründungsmythos der Menschheit, die erste Geschichte, die uns überliefert ist. Und dennoch kennt es in unserem westeuropäischen Kulturkreis: fast niemand. Ich will zwar jetzt nicht von mir auf andere schließen, aber selbst den meisten Theaterleuten ist das Epos nicht wirklich vertraut.
Dann müssen Sie ja schon erklären, warum Sie sich gerade dafür entschieden haben.
Koall: Weil das Epos den Trost einer existenziellen Erzählung bietet. Weil Theater die wundervolle Möglichkeit bietet, auch solche scheinbar fernen und fremden Stoffe zu bergen und zu verlebendigen. Das Interessante ist ja eben, dass die Geschichte von so weit weg kommt und einem dennoch so nahekommt. Es macht überhaupt keine Probleme, diesem 5000 Jahre alten Epos inhaltlich und emotional zu folgen.
Worum geht’s?
Koall: Es ist die Geschichte eines Königs, der ein ungerechter Herrscher ist über die Stadt Uruk, im heutigen Irak. Er findet einen Freund und zieht mit ihm aus, die Welt zu erobern. Sie gehen auf eine Art Roadtrip, um die Götter herauszufordern. Am Ende, ich verkürze das jetzt sehr grob, muss dieser König lernen, dass er Erfüllung und Sinn im Leben nicht im Kampf finden kann, nicht in der Macht, nicht in der maßlosen Sexualität, nicht im Bauen höchster Türme, sondern darin, Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen und zu lieben. Ganz simpel.
Was fasziniert Sie daran?
Koall: Dass in der ältesten Erzählung, die wir kennen, schon alle Grundelemente gesetzt sind, die einen Großteil unserer abendländischen Kultur ausmachen, das finde ich toll. Die Nächstenliebe zum Beispiel, oder das Absehen von sich selbst und das Kümmern um andere. Daher kann man sehr schnell andocken beim Zuschauen.
Als Dramaturg sehen Sie vor allem den Text, welche Bezüge zur Gegenwart gibt es?
Koall: Wenn ich parallel „Gilgamesh“ probe und abends im Fernsehen den amerikanischen Wahlkampf des republikanischen Kandidaten sehe, kann ich nicht anders als zu sagen: Da ist auch einer, der noch nicht begriffen hat, wo die Erfüllung liegen könnte, ein Maßloser, ein Ich-Mensch. Da ist ein Gilgamesh.
Mehr als 5000 Jahre mühen sich die Menschen mit den gleichen Themen. Das kann einen schon niederschmettern.
Koall: Mich tröstet das. Es lässt einen sich nicht so alleine fühlen.
Wie wichtig ist diese Eröffnung für eine erste Spielzeit?
Koall: Man möchte bei so einer ersten Spielzeit natürlich eine inhaltliche Duftmarke setzen. Dafür steht nicht „Gilgamesh“ allein, sondern die ersten Produktionen zusammen. Wir wollen am Anfang des Theaters auch über die Anfänge des Erzählens berichten.
Gespielt wird in einem Zelt auf der Kö.
Koall: Zum Beginn der Spielzeit, ja. Ab dem Herbst sind wir dann hauptsächlich im Central am Hauptbahnhof und zeitweise im Capitol und dem Dreischeibenhaus — und natürlich an der Münsterstraße. Wir fräsen uns überall in die Stadt hinein.
Und warum das Zelt?
Koall: Das Zelt ist der lustvolle Auftakt der Saison: Wenn wir schon nicht ins Große Haus können, dann setzen wir die Menschen in einen Halbkreis wie in Griechenland, auf der Bühne gibt es einen Haufen Sand und darauf steht ein Mensch, der zu erzählen beginnt. Reduzierter und zugleich sinnlicher geht es nicht. Diese Besinnung finde ich aufregend. Das Gegenstück dazu wird dann im Zelt „In 80 Tagen um die Welt“ werden, ein großes Theaterspektakel nach Jules Verne.
Haben Sie sich ganz bewusst mit „Gilgamesh“, aber auch mit „Sheherazade“ für Texte aus dem arabischen Raum entschieden?
Koall: Es ist eine große, weite, vielsprachige und komplizierte Welt. Das soll der Spielplan abbilden. Es ist kein Zufall, dass wir bewusst den Blick in den Mittleren und Nahen Osten richten und sagen, die Stätten, die gerade der Barbarei anheimfallen, sind die Stätten, aus denen unsere Kultur entsprungen ist.
Was ist spezifisch für Düsseldorf?
Koall: Ich denke, es war richtig, Elfriede Jelinek zu bitten, ein Stück für uns zu schreiben, das sich mit Körperbildern auseinandersetzt. Ich meine das nicht ironisch, nach dem wohlfeilen Motto: Guck mal die aufgekratzten Tanten auf der Kö. Es gibt in Düsseldorf ein völlig anderes Erscheinungsbild von Menschen als in Dresden. Die Leute sind anders gekleidet, nicht besser unbedingt, aber stärker im Bewusstsein einer Körperrepräsentation.
Das Schauspielhaus wird zur Hälfte vom Land getragen. Als einziges Theater in NRW. Müssen Sie ein besonderes Profil bieten?
Koall: Ich glaube schon, dass damit eine gewisse Verantwortung einhergeht. In Dresden waren wir auch Staatsschauspiel, dort nannte man das Leuchtturmfunktion: ein Ausstrahlen über die Landesgrenzen hinweg. Wir haben uns mit Häusern verglichen, die im deutschsprachigen Raum in der ersten Reihe stehen. Da muss Düsseldorf auch wieder hinkommen.