Aphorismus in Düsseldorf Feinsinniges zum aktuellen Zeitgeist
Düsseldorf · Jürgen Wilbert hat einen neuen Band mit Denksprüchen zur Gegenwart veröffentlicht.
„Im MP3-Player, iPhone und iPad hat die Nabelschnur elektronische Gestalt angenommen“. Ein zeitkritischer Kommentar zur digitalen Gesellschaft. Die Kopfhörer- und Ladekabel unserer mobilen Geräte haben die Verbindung zwischen Embryo und Mutterleib ersetzt. Es ist einer von über 300 Aphorismen, die der Düsseldorfer Schriftsteller Jürgen Wilbert in seinem neuen Buch „SinnBilder“ versammelt. Zu dem Miniatur-Text gesellt sich ein Foto von Rainald Hüwe. Es zeigt das untere Ende eines Smartphones, aus dessen Ansteckbuchse sich ein weißes Kopfhörer-Kabel über einen schwarzen Grund schlängelt. Aphorismus und Foto bilden zusammen die „Überschrift“ eines Kapitels. In diesem Fall geht es um das Leben in der digitalen Netzkultur. Auf den nächsten beiden Seiten folgen in luftiger Anordnung acht weitere Aphorismen, etwa: „Ohne Handy sind die meisten schon gehandicapt.“
Insgesamt erstrecken sich 40 Kapitel auf 170 Seiten. Sie widmen sich aktuellen Phänomenen wie der Öko-Debatte: „Je weiter die Reisen, desto betretener die Umwelt“ oder der menschlichen Existenz in einer rastlosen Leistungsgesellschaft: „Wer immer auf Achse ist, ist bald gerädert.“
Aber auch Menschliches, Allzumenschliches nimmt Jürgen Wilbert kurz, prägnant und pointiert ins sprachliche Visier: „Unbelehrbare Schwarzmaler überpinseln gar den Teufel an der Wand.“ Oder er liefert Ratschläge für die Ausbildung einer unverwechselbaren Identität: „Wer eine persönliche Note in sein Leben bringen will, muss ab und zu aus der Reihe tanzen.“
Nicht zuletzt beschäftigt sich Wilbert auch mit dem Aphorismus selbst. Er liefert eine Definition: „Aphorismen sind literarische Kurzwaren – mit langer Haltbarkeit.“ Und obwohl oder gerade weil das von ihm heißgeliebte Genre im Literaturbetrieb ein Nischendasein führt, spricht er allen Verfassern und Liebhabern spitz formulierter Lebensweisheiten Mut zu: „Aphorismen sind kurz, aber nicht klein zu kriegen.“
Die Ideen für seine Denksprüche schöpft Wilbert aus alltäglichen Beobachtungen, etwa wenn er mit der Bahn fährt oder durch die Stadt läuft. Er sieht etwa, wie Menschen inzwischen ihr Smartphone in Händenhalten. Dieses Bild versucht er sprachlich auf den Punkt zu bringen. Herausgekommen ist: „Ein neues Phänomen: die digitale Prozession. Die Menschen folgen ihrem Smartphone wie einer Monstranz.“
Jürgen Wilbert: SinnBilder. 170 Seiten. Edition Virgines. 19,90 Euro.