Der Lümmel vom Tingel-Tangel
Das Theatermuseum hütet das Archiv der Familie Lorentz — samt Lob und Beschimpfung.
Düsseldorf. Als Kay Lorentz nach dem Tod seiner Eltern Mitte der 90er Jahre die Leitung des Kom(m)ödchens übernimmt, blickt er sich die riesengroßen Fußstapfen von Mutter und Vater an und beschließt das einzig Richtige: sie dort zu lassen, wo sie sind. Stattdessen besinnt er sich auf seine Qualitäten, was in Fußstapfensprache so viel heißt wie „Sie sind kleiner, aber das macht nichts.“ Er beweist Courage und übernimmt die künstlerische und die kaufmännische Leitung für das Haus. Ausgerechnet er, der ursprünglich Lehrer werden wollte und für den die Vorstellung, auf der Bühne zu stehen, bis heute der reinste Horror ist. Aber Kay Lorentz beißt sich durch. Läßt sich weder von der Skepsis Fremder noch von der eigenen ins Boxhorn jagen.
Heute gilt das Kom(m)ödchen nach wie vor als eine der deutschlandweit besten Kabarettbühnen. Es verfügt über eine spannende Geschichte, die zurzeit sogar Bestandteil der Ausstellung „Spaß beiseite — Humor und Politik in Deutschland“ ist. Die Schau war bereits in Leipzig und ist nun bis zum 13. Juni in Bonn im Haus der Geschichte zu sehen.
Die Ausstellungsstücke entstammen dem Kom(m)ödchen-Archiv, das die Kay-und-Lore-Lorentz-Stiftung in die Obhut des Theatermuseums gegeben hat und das zurzeit wissenschaftlich aufbereitet wird. „Die Geschichte des Kom(m)ödchens ist eng mit der Geschichte der BRD verbunden. Sie sind ja beide beinahe gleich alt“, sagt Lorentz.
Viele Relikte sind zugleich persönliche Erinnerungsstücke des Sohnes. Kleine Kontaktaufnahmen zu den Eltern, die mit dem Kabarett all die Jahre weit mehr Zeit zubrachten als mit ihren vier Kindern. Als der Sohn die Ausstellung in Leipzig besucht, amüsiert er sich besonders über das von Hand gemalte Schild mit der Aufschrift „Gott sei Dank ausverkauft“, das Lore Lorentz, die in den Anfangsjahren des 1947 eröffneten Kom(m)ödchens noch selbst an der Kasse saß, mit Freude im Foyer befestigte. „Das ist so schön, weil es den Spieß ja genau umdreht“, sagt Lorentz.
Dem Vater, erinnert sich der Sohn, waren vor allem die Programm-Plakate wichtig. „Er hat sehr viel Wert auf die Gestaltung gelegt und gute Grafiker beauftragt.“ Uwe Lösch war einer von ihnen. Er schuf 1982 ein Plakat, das preisgekrönt wurde und heute im Museum of Modern Art in New York hängt.
500 Plakate existieren noch. Sie sind im Archiv des Theatermuseums untergebracht und werden von Sabine Herder und Ruth Sandhagen katalogisiert. „Sobald man sich mit den Texten auseinandersetzt, fängt es an, richtig Spaß zu machen“, sagt Sabine Herder. „Dieser Sprachwitz ist einmalig.“ Und er berührt. Ein ehemaliger KZ-Häftling schreibt 1952 an Kay und Lore Lorentz und bedankt sich. Er hatte ein Gastspiel in Den Haag gesehen und beschlossen, wieder Kontakt zu Deutschland aufnehmen. Solche Zeitdokumente gehören zu den Kostbarkeiten des Archivs.
Aufbewahrt werden aber auch Beschimpfungen: Ein anonymer Schreiber wünscht „Herrn Lorentz vom Tingel-Tangel“, dem „unrasierten Lümmel“, den Tod an den Hals. Offenbar hatte dem Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg des Lümmels Geschichtsbewältigung nicht gefallen.
In der Öffentlichkeit mischt Familie Lorentz schon früh auch jenseits von politischen Debatten mit, wie Sandhagen und Herder herausfanden. „Lore Lorentz galt mit ihren Kostümen als stilbildend“, sagt Herder. „In der Presse hat man über die Lorentz schon damals Homestorys abgedruckt.“