Die große Kunst des Tanzes
Die Kunst der Fuge“ heißt der zweite Abend mit dem neuen Ballett unter Martin Schläpfer. Eine Sternstunde.
Düsseldorf. 2002 hat Martin Schläpfer seine Kunst der Fuge nach der Komposition von Johann Sebastian Bach in Mainz uraufgeführt. Viel Zeit, sagt er, habe er damals für die Choreographie gehabt, so dass die Bilderfolge, die er in Tanz verwandelte, nur aus Zeitgründen auf der Bühne ein Ende finden musste, in seinem Kopf sich jedoch endlos hätte weiterdrehen können. Die Kunst der Fuge ist die zweite Premiere des neuen Ballettchefs der Deutschen Oper am Rhein, b.02, die am Samstag in Duisburg stattfand. Am 19. Dezember ist sie erstmals in Düsseldorf zu sehen.
Bach trieb mit der Kunst der Fuge die Offenheit dieser anspruchsvollen musikalischen Kunstform, bei der eine konkrete melodische Idee Grundlage für einen Variationszyklus ist, auf die Spitze und schuf ein Universum an Ableitungen eines einzigen Themas. Berührt habe ihn die Musik, sagt Schläpfer, gereizt die Fülle an Assoziationen, die bei ihm auch zum Einsatz unterschiedlicher Instrumente bis hin zu Flöte und Saxophon führt.
Die Choreographie jedoch, die er daraus so meisterlich geknüpft hat, ist nicht Anpassung an die Musik, nicht ihr Widerpart, nicht ihre Erklärung, sie nimmt Gedanken über das Menschsein in der Welt auf und trägt diese weiter, bis sie als Vielzahl in sich geschlossener Tanzeinheiten auf der Bühne sichtbar werden.
Es ist ein fulminantes Balletttheater, das an diesem Abend seinen Lauf nimmt: mit Mannequins, die energisch und kraftvollen Schrittes dem Zuschauer ihr Dasein entgegenstoßen, Männern, die gockelhaft pure Lust demonstrieren, und Paaren, die in vorsichtiger Hingabe Kontakt zueinander aufnehmen, um sich im nächsten Moment mit einem weit ausholenden Rond de Jambe wieder der Welt zuzuwenden.
Es wird der barocke Lebensgenuss der Bach’schen Epoche in leichtfüßige Menuette übersetzt, dann wieder offenbart der zarte Pas de deux zweier Tänzerinnen die Innigkeit als zutiefst menschliches Bedürfnis.
Wie schon bei seiner ersten Premiere in Düsseldorf nutzt Schläpfer nicht nur das gesamte Repertoire tänzerischer Ausdrucksformen, sondern schraubt die Figuren weiter und weiter. Was das Publikum verzaubert, ist am Ende seine schöpferische Kraft, die größer ist als die formale Strenge. Die Musik trägt das Wechselspiel von klassischem Ballett und modern inszenierter Beweglichkeit, das die Tänzer so virtuos beherrschen. Herausragend ist erneut die Leistung von Bodgan Nicula und Marlúcia do Amaral, die Spielkindern gleich körperliche Grenzgänge zelebrieren.
Und mittendrin das Publikum. Ungeahnt wird es Teil der Choreographie, wenn während der letzten Takte des ersten Parts in einem brutalen Akt das Licht eingeschaltet wird, die Fuge jedoch ununterbrochen erklingt. Wer möchte, bleibt einfach sitzen und hört weiter zu - Schläpfer treibt seinerseits die Offenheit der Kunst auf die Spitze und erntet dafür am Ende stehende Ovationen. "Ich bin zufrieden, aber leer", sagt er nach der Aufführung. Stattdessen hat jetzt das Publikum den Kopf voll mit den Bildern, die er geschaffen hat.