Kultur Ein totalitärer Typ, der zum Monster wird
Stephan Müller inszeniert Ibsens „Baumeister Solness“ als Stück aus der heutigen Zeit.
Düsseldorf. „Jeder von uns hat einen Troll in sich, der wütet und rumort.“ So erklärt Stephan Müller die Bedeutung nordischer Mythologie für unseren Alltag - und seine Begeisterung für den norwegischen Dramatiker Henrik Ibsen. Dessen Figuren würden häufig von diesen Trollen beherrscht. „Dieser Troll in uns fängt an, über die Ufer zu treten, dann schließlich rastet er aus.“ Endstation nicht selten: ein Amoklauf.
Genauso gehe es dem „Baumeister Solness“ in Ibsens gleichnamigem Theaterstück, das 1893 in Berlin uraufgeführt wurde. Müller, der vor 30 Jahren schon einmal im Schauspielhaus (schon damals unter Günther Beelitz) inszeniert hat, bringt jetzt den Klassiker auf die Bühne des Großen Hauses.
Während der Proben sprach der Schweizer Theatermann mit der WZ. Die Titelfigur — ein Größenwahnsinniger, ein Stararchitekt, dem verhaltenes Benehmen, Vorsicht und Korrektheit verhasst sind. Brutal und skrupellos ist dieser Bauunternehmer, dessen Kinder bei einem Brand starben und dessen Frau Aline seitdem wie in Trance vor sich hin vegetiert.
Plötzlich taucht mit Hilde eine Frau aus Solness’ Vergangenheit auf. Einst hatte Solness sie (als Kind) sexuell belästigt und versprochen, ihr eines Tages ein Königreich zu errichten. Zwölf Jahre später nun pocht Hilde darauf, dass er sein Versprechen einhält. Das Unglück nimmt seinen Lauf, denn Solness steckt in einer tiefen Krise, errichtet eine Fantasiewelt, will das Unmögliche möglich machen, um Hilde nicht zu verlieren. Ein Vorhaben, das für ihn tödlich endet.
Was dieser radikal rücksichtsloser Mann mit unserer Gesellschaft zu tun hat? „Es gibt viele solcher Typen“, sagt Stephan Müller. Und weist auf internationale Star-Architekten wie Jacques Herzog hin, der neben der Hamburger Elbphilharmonie und der Erweiterung der Tate Gallery in London auch das Pekinger Olympia-Stadion gebaut hat. Hauptdarsteller Andreas Grothgar mit seiner markanten Glatze sieht Herzog verblüffend ähnlich. Zufall? Wohl weniger.
Solness steht aber auch für eine Art Promotheus, der ganz hoch hinaus wolle und „mit Gott auf Du und Du“ stehe. Ein totalitärer Typ, der einen Vernichtungshunger habe wie ein Amokläufer und daher zum Monster geraten könne. Er strebe nach einem grandiosen Akt, der einmalig sei und gewaltiger und grausamer als alles vorher. Man denkt u.a. auch an den Piloten, der im März die German-Wings-Maschine mit 150 Menschen an Bord an einer Felswand zerschellen ließ. „War vielleicht auch ein Typ Solness“, so Müller.
Jedenfalls beschreibt sich Solness im Ibsen-Stück sogar als Monster. Er wisse es, so Müller und spiele damit. „Gleichzeitig findet er sein Vorhaben schrecklich und leidet unter der Schuld.“ Ein Zwiespalt, der Solness zu einer modernen Figur mache. So verlegt Müller das Stück in unsere Zeit, Anspielungen auf heutige Stararchitekten und Größenwahnsinnige seien für das Publikum erkennbar. Denn auch in Düsseldorf gäbe es einige von dieser Spezies. Er schmunzelt hintergründig.
Ansonsten genießt Stephan Müller, Jahrgang 1951, die Rückkehr an den Rhein. Nach 30 Jahren habe sich viel verändert — zum Positiven. Die kosmopolitische Atmosphäre hier - in den 1980er Jahren gab es sie so noch nicht - erinnere ihn an seine Heimat Zürich. Ebenso wie die Aufgeschlossenheit. Die Menschen seien aufgeschlossen, aber auch zurückhaltend. Es herrscht eine Stimmung, die dem Schweizer sehr gefällt.