Fotograf Andreas Gursky: Manchmal blitzen seine Augen wie früher
Helga Meister kennt Andreas Gursky seit seiner Studentenzeit und hat seine künstlerische Karriere eng begleitet. Sie blickt zurück.
Düsseldorf. Volker Kahmen zeigte 1997 seine Sammlung im Westfälischen Kunstverein Münster, und der damalige Düsseldorfer Kulturdezernent Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff und ich fuhren gemeinsam zurück. Wir waren allein. Ein guter Moment also, um ihm tüchtig einzuheizen.
Die Fotografen Andreas Gursky, Axel Hütte, Thomas Ruff und Laurenz Berges wollten die denkmalgeschützte Immobilie der Stadtwerke an der Hansaallee kaufen, und Grosse-Brockhoff sollte ihnen dabei helfen. Die Künstler besaßen dort seit Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre ihre Ateliers und wollten bleiben. Die Stadtwerke jedoch zögerten — Künstler hatten damals kein gutes Image.
Grosse-Brockhoff gab nach, vermittelte zwischen den Künstlern und den Stadtwerken, Anfang 2000 war der Deal perfekt. Die Fotografen bauten die Immobilie monatelang um und zogen ein. Heute ist Düsseldorf stolz auf diese Bürger und wiegt sich im Glück der Fotoszene.
Ich kenne Andreas Gursky seit seinem ersten Akademierundgang im Jahr 1983, wo er Landschaften präsentierte. Sie kamen so gut an, dass er 1984 den Kodak-Förderpreis bekam. Von dem Preisgeld bezahlte er eine Reise in die Schweiz und machte sein erstes farbiges Landschaftsbild. Auf diese triviale Situation in einem überbelichteten, heiter stimmenden Bild war er damals mächtig stolz. Es sollte der Erstling seiner Serie „Sonntagsbilder“ werden. Gursky galt daraufhin lange Zeit als der Romantiker unter den Dokumentarfotografen der Becher-Klasse.
Ich sehe noch vor mir, wie auf seinem Schreibtisch bei einem Besuch im Jahr 1988 Marcel Prousts Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ lag. Die Zeit als erfüllter Augenblick, als ein Anhalten in der Bewegung, ein Zur-Ruhe-Kommen, bestimmte damals seine Fotokunst. Gursky wurde von Julian Heynen zur Museumsschau nach Krefeld eingeladen. Seine Bilder waren reinste Poesie.
Faszinierend ist auch sein Humor, der heute allerdings seltener in Gurskys Werken aufblitzt. In den frühen 80ern war er auf Empfangsbüros in Banken, Flughäfen und Konzerthallen gestoßen. Dort saßen jeweils zwei Pförtner nebeneinander am Schreibtisch — auf Gurskys Fotos wurden sie zum Komikerduo Pat und Patachon.
Noch heute, wenn ich am Dreischeibenhaus vorbeigehe, denke ich an diese Aufpasser. In ihrer dunklen Kleidung, im weißen Hemd, gesteiften Kragen und dunklem Schlips scheinen sie wie einst an ihren längst unmodernen Tischen zu sitzen. Und ich sehe Gursky, wie er übermütig lacht.
Gursky war noch kein Star, als er mir gestattete, ihn zur Foto-Session der „Mayday“-Party in der Dortmunder Westfalenhalle zu begleiten, wo er die oberen Ränge gebucht hatte, um die gesamte Halle auszuleuchten und Blitze von 25 000 Watt zu „verschießen“.
Die Phonstärke der Massenveranstaltung störte ihn nicht. Wie ein Habicht sah er von der Empore auf die vibrierenden, rhythmisch bewegten Körper herab. Seine damalige Frau Nina Pohl assistierte und schaute mit fachmännischem Blick auf die Szene, während Gursky selbst im Halbdunkel mit der Lupe jede Aufnahme auf seiner Plattenkamera untersuchte.
Die Prozedur dauerte ewig. Nach drei Stunden fuhr ich nach Hause. Für ihn war die Arbeit noch lange nicht vollendet. Auf der Hansaallee montierte er tagelang am Computer die Einzelaufnahmen zum Sinnbild der Techno-Gemeinde. Das Panorama extremer Schönheit hängt heute in der Kunstsammlung NRW.
Im Gegensatz zu früher wirkt Gursky heute eher verschlossen. Er liebt die überwältigenden Bilder, die ihn zum Star machen, lädt Museumsleute, Künstler und Studenten zur Riesenparty in die Rheinterrasse ein und ist erleichtert, wenn der Musiker Sven Väth den Abend moderiert. Je berühmter er wird, desto wichtiger sind ihm seine Bilder. Und seit zwei Jahren auch seine Studenten. Sobald er mit ihnen zusammen sitzt, taut er auf, ist Andreas, der Freund und Helfer. Dann gewinnt er seine Unbeschwertheit zurück. Und wenn kein Trubel um ihn herum ist, blitzen seine Augen wieder und die Skepsis weicht.