Interview „Die Zukunft inspirierte Pierre Cardin“

Düsseldorf · Der französische Modezar Pierre Cardin rüstete seine Models für Mond-Trips aus, setzte zahlreiche Fashion-Trends und erwies sich als tüchtiger Geschäftsmann. Im September widmet ihm der Kunstpalast eine Ausstellung.

Gestreifte Bodysuits, fransig geschnittene Röcke aus Stoffstreifen, futuristische Helme: Die Models erinnern an Astronautinnen und Harlekine zugleich.

Foto: Archives Pierre Cardin, Foto: unbekannt

Sein Name ist allgegenwärtig in der Konsumkultur – dabei steht Pierre Cardin für viel mehr als nur für Lizenzprodukte im Kaufhaus: Der heute 97-Jährige prägt seit über einem halben Jahrhundert von Paris aus die Modewelt, gehörte in den 1960ern neben Paco Rabanne und André Courrèges zu den bekanntesten Designern der „Space Age“-Ära. Der Düsseldorfer Kunstpalast zeigt nun die ganze Bandbreite von Cardins kreativem Schaffen. Kuratiert hat die Ausstellung Barbara Til, Leiterin des Bereichs „Skulptur, Design, Angewandte Kunst“. Im WZ-Interview erzählt sie, was Cardin bis heute so faszinierend macht.

Modeschneider Pierre Cardin (hier im Jahr 1966) legt Wert auf hochwertige Materialien - wie ein Bildhauer.

Foto: Gamma-Photo, Pierre Lelièvre

Frau Til, gerade in Deutschland verbinden viele Menschen den Namen Pierre Cardin oft eher mit Mode von der Stange als mit Haute-Couture. Warum widmen Sie Cardin nun eine ganze Ausstellung im Kunstpalast?

Pierre Cardin (hier im Jahr 2012) setzt seit über einem halben Jahrhundert neue Trends in der Modewelt.

Foto: Archives Pierre Cardin, Foto: unbekannt

Barbara Til: Pierre Cardin prägt die Modewelt seit sieben Jahrzehnten. In Frankreich, Südeuropa, den USA oder Asien hat er einen ganz anderen Ruf als hierzulande, wo ihn viele vor allem durch seine günstigen Lizenzprodukte kennen. Seine Haute-Couture-Mode ist bei uns fast nicht erhältlich, was schade ist, denn sie ist nach wie vor progressiv-innovativ und zeichnet sich durch exzellente Schnitte und Materialien aus. Auch Cardins Rolle für die Herrenmode ist vielen nicht mehr bewusst. Mit seinen schmal geschnittenen Anzügen, Rollkragenpullovern, poppigen Jacken und lässigen Leder-Outfits hat er die Männermode seit den 1960er Jahren revolutioniert.

Pierre Cardin selbst begutachtet seine Entwürfe. Hier sehen wir ihn bei der Anprobe eines „Cardine“-Kleids mit der US-amerikanischen Leinwand-Legende Lauren Bacall im Jahr 1968. „Cardine“ ist eine Chemiefaser, mit der sich Kleider ohne Nadel und Faden herstellen lassen.

Foto: Archives Pierre Cardin, Foto: unbekannt

Was macht Cardin zum „Fashion Futurist“, wie Sie die Ausstellung genannt haben?

Poppiges Design aus dem Weltraumzeitalter mit „unedlen“ Materialien: Bullaugen-Sonnenbrillen und Halsschmuck aus Vinyl im Jahr 1970.

Foto: Archives Pierre Cardin, Foto: unbekannt

Til: Cardin war nie ein Nostalgiker. Ihn inspirierte weniger das  Vergangene, sondern die Zukunft – das Innovative. So ließ er zum Beispiel Ende der 60er ein neues synthetisches Material entwickeln, das er „Cardine“ nannte. Damit konnten in einem thermoplastischen Verfahren Kleider ohne Nadel und Faden hergestellt werden. Auch die Demokratisierung der Mode war ihm ein wichtiges Anliegen. Bereits in den 60ern brachte er eine günstigere Drittlinie – neben Haute-Couture und Prêt-à-Porter – auf den Markt. Das war sehr vorausschauend. Der Titel „Fashion Futurist“ passt also.

Das sehen Ihre Kollegen vom Brooklyn Museum in New York offenbar ähnlich. Dort startete im Juli die Cardin-Retrospektive „Future Fashion“. Worin unterscheiden sich Ihre und die New Yorker Schau?

Til: In New York war der 50-jährige Jahrestag der Mondlandung der Anlass für die Ausstellung, deshalb wurde sie am 20. Juli eröffnet. Damit wird Cardin oft in Verbindung gebracht, nicht nur wegen seiner berühmten Space-Age-Kollektion. 1969 besuchte er Cape Canaveral und ließ sich dort im Raumanzug von Buzz Aldrin fotografieren. Anders als im Brooklyn Museum zeigen wir aber keine Retrospektive, sondern die starken, bis heute wirkenden Impulse seiner Mode.

Was erwartet die Besucher also im Kunstpalast?

Til: Wir zeigen Haute-Couture-Mode aus sieben Jahrzehnten, der Schwerpunkt liegt auf der Damenmode der 1960er und 70er Jahre. Statt einer chronologischen Anordnung haben meine Kollegin Maria Zinser und ich uns für vier Themenkomplexe entschieden. Auf diese Weise geben wir Einblick in die große Bandbreite seines Schaffens und können zum Beispiel durch Gegenüberstellungen seine innovativen Ideen und Entwicklungen, aber auch die Kontinuität seines Stils verdeutlichen.

Was entgegnen Sie Skeptikern, die Cardin wegen seiner vielen Lizenzen nicht ernst nehmen?

Til: Es kann natürlich zu Problemen führen, wenn man so viele Lizenzen vergibt. Diese Erfahrung haben ja schon viele große Häuser machen müssen. Aber auch durch das Lizenzgeschäft konnte Cardin bis heute unabhängig von den großen Konzernen bleiben. Und er nutzt es etwa, um seine teure Haute-Couture-Linie weiterzuführen, auch, um in Kultur-Projekte zu investieren, zum Beispiel in sein eigenes Festival, das alljährlich im Chateau Lacoste in Südfrankreich stattfindet.

Spielt der Geschäftsmann Cardin in der Ausstellung denn auch eine Rolle?

Til: Nein, das abbilden zu wollen, wäre sehr schwierig. Wo sollte man anfangen, wo aufhören? Wir sprechen hier ja nicht nur von über 800 Lizenzen, die Cardin im Laufe der Jahrzehnte vergeben hat: Er hat eine eigene Möbel-Linie entworfen und viele andere Konsumartikel designt, daneben hat er Restaurants und Hotels geführt. Man kann in einer einzigen Ausstellung gar nicht alles zeigen, was er geschaffen hat und noch immer kreiert. Wir konzentrieren uns auf seine Haute-Couture-Mode, sie ist der Nukleus all dessen.

Was macht für Sie persönlich die Faszination an Cardin aus?

Til: Ich finde es bewundernswert, dass er sich alles aus eigener Kraft aufgebaut hat. Ende 1944 kam er nach Paris, arbeitete anfangs als Assistent im Atelier von Jeanne Paquin und von Elsa Schiaparelli, später bei Christian Dior, als der seinen legendären „New Look“ kreierte. 1950 gründete Cardin sein eigenes Label, ohne einen finanziellen Förderer im Rücken, und dieses Unternehmen führt er bis heute sehr erfolgreich.

Wie baut man eine Ausstellung über einen so vielseitigen Designer auf?

Til: Alles, was wir zeigen – die Kleider und die Accessoires – kommt aus dem Musée Pierre Cardin in Paris. Das ist ein großer logistischer Vorteil für uns. Cardin selbst hat zwar gerne über die Auswahl geschaut, aber über die Inhalte und die Exponate haben meine Kollegin und ich entschieden. Seine Mode werden wir an Figuren der italienischen Firma Bonaveri zeigen, eine Art Rolls Royce unter den Kleiderpuppen, die auch bei den Mode-Ausstellungen Paris, New York und zuletzt bei der Dior-Ausstellung im Victoria & Albert-Museum in London zum Einsatz kamen. Eine weitere große Herausforderung war für uns, den Spagat zwischen historischer Einordnung des Gezeigten und der Verankerung im Hier und Jetzt zu schaffen. Das ist uns durch Gegenüberstellungen, aber auch durch die Präsentation von Filmmaterial in der Ausstellung gelungen.

Und wo finden Sie selbst Inspiration, wenn es um die Präsentation geht?

Til: Das ist ganz vielfältig. In Modezeitschriften finde ich Werbefotos sehr interessant, auch das Design von Boutiquen weltweit inspiriert mich. Natürlich besuche ich oft Mode-Ausstellungen anderer Häuser, versetze mich selbst in die Besucherperspektive hinein und betrachte,  was die Kollegen in den Fokus rücken, mit welchen Mechanismen sie arbeiten. Generell finde ich, dass man es lieber kurz und knackig halten sollte, als zu viel auf einmal zeigen zu wollen. Gerade am Anfang der Planung hat man manchmal etwas zu bombastische Vorstellungen.

Seit der großen Alexander-McQueen-Schau im New Yorker Metropolitan Museum 2011 lockt Mode das Publikum auf der ganzen Welt scharenweise in Museen. Woran liegt das?

Til: Auffällig ist, dass monographische, einzelnen Designern oder Labels gewidmete Ausstellungen besonders erfolgreich sind. Das liegt daran, dass die Menschen viel mit Mode und großen Namen verbinden. Dior, Chanel, Jil Sander – diese Namen haben sich als Marke sehr konsolidiert und allein dadurch eine enorme Reichweite. Das Tolle an Mode ist, dass auch bei Retrospektiven immer ein Bezug zum Hier und Jetzt besteht. Diesen Bezug machen wir auch in unserer Cardin-Ausstellung deutlich.

Die Frage, ob Mode Kunst ist, sorgt immer wieder für Diskussionen. Wie stehen Sie dazu?

Til: Mode ist Design und damit sicherlich eine Form der angewandten Kunst. Es gibt Mode, die gar nicht getragen werden soll und damit sehr in eine künstlerische Richtung geht. Und bei Kostümen für die Bühne, zum Beispiel von Jean Paul Gaultier und Karl Lagerfeld, ist die Grenze zur Kunst oft fließend. Aber ich würde nicht jedes grandiose Design automatisch als Kunst bezeichnen. Kunst und Mode beeinflussen sich gegenseitig. Bei Yves Saint Laurent geschah das oft sehr offensichtlich, bei Pierre Cardin eher unterschwellig. Seine große handwerkliche Finesse hat durchaus eine künstlerische Dimension.

Die Ausstellung „Fashion Futurist“ läuft vom 19. September 2019 bis zum 5. Januar 2020 im Kunstpalast. Adresse: Ehrenhof 4-5. Mehr Informationen im Netz unter: