Kultur Zwischen Liebe und Tod, Krieg und Frieden
Düsseldorf · In b.41 zeigt Martin Schläpfer mit „Cellokonzert“ seine letzte Arbeit für das Ballett am Rhein. Dazu gibt es historische Paukenschläge.
Dieses Cello. Es leidet, dass es einem ans Herz geht. Und wenn die Große Trommel das introvertierte Instrument immer wieder gewalttätig unterbricht, möchte man es bei seiner melancholischen Meditation beschützen. Es gibt mehrere Stars bei dem neuen vierteiligen Abend b. 41 des Ballett am Rhein. Einer von ihnen ist Nikolaus Trieb. Er gibt Dimitri Schostakowitschs zweitem Cellokonzert, zu dem Chefchoreograf Martin Schläpfer seine letzte Arbeit für das mehrfach preisgekrönte Ensemble schuf, mit seinem pointierten Spiel die Seele. Zum Ende der Spielzeit wechselt der Schweizer bekanntlich an das Wiener Staatsballett.
Der Abend bietet ein spannendes Programm aus Jirí Kyliáns Frühwerk „Forgotten Land“, Martha Grahams Miniaturen „Lamentation“ (1930) und „Steps in the Streets“ (1936) – wann und wo sah man zuletzt eine deutsche Company ein Werk von Graham tanzen? – und eben Schläpfers Abschiedsgruß „Cellokonzert“. Letzteres war sicher der Hauptgrund für das große Medienaufgebot im Düsseldorfer Opernhaus.
Eine eckige Spirale prangt an der Rückwand, davor Materialbahnen wie eine abgerissene Verkleidung. Ein freigelegtes Kunstwerk, das in die Unendlichkeit weist? Abbruch und Ewigkeit suggeriert dieses – schwach inspirierte – Bühnenbild. Eine Tänzerin drückt ihren Kopf zwischen Erschöpfung und Konfrontation gegen den Brustkorb ihres Partners. Dann setzen beide zu einem nachdenklichen Pas de Deux an. Die Bühne füllt sich mit immer mehr Menschen zu einem harmonischen Miteinander. Es ist ein fließendes Kommen und Gehen von einzelnen Tänzern, Paaren, kleinen und großen Gruppen in den unterschiedlichsten Konstellationen. Ein Höhepunkt gehört Marlúcia do Amaral und Sonny Locsin und ihrem eigenwilligen Duett zwischen Irrsinn und Slapstick.
Es war dem scheidenden Ballettchef wichtig, noch einmal sein ganzes Ensemble zu beschäftigen. In individuellen, schlicht-schönen Kleidern, Hosenröcken und für die Männer Hosen und Shirts stilisieren sie die Dinge des Lebens. Anders als man es von Schläpfer kennt, streben seine Tänzer diesmal nicht mit langen Armen und hohen Sprüngen himmelwärts, sondern agieren überwiegend in Bodennähe. Auch verhalten sich alle ungewöhnlich friedlich. Insbesondere zu Beginn seiner Ära zeigte er verzweifelte, aggressive oder verstörte Wesen, die auch mal an Zombies erinnerten. Elf Spielzeiten weiter hat der Meisterchoreograf kurz vor seinem 60. Geburtstag Sehnsucht nach Frieden auf der Bühne und in der Welt.
Schläpfer macht es sich und dem Publikum nicht leicht. „Cellokonzert“ ist eine kryptische Arbeit, überwiegend so dunkel wie Schostakowitschs „Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2“. Der sowjetische Komponist bezog darin 1966 musikalisch Stellung zu einer Zeit, die es möglich machte, dass jene Kulturbürokraten, die ihn unter Stalin verpönten, ihm nun Orden umhängten.
Martha Grahams Stücke haben nichts von ihrer Kraft verloren
Die traurig-schöne Musik beantwortet der Tanzschöpfer mit einer Sprache, die komplex, kompliziert und hochphysisch ist – und von einer bildhauerischen Schönheit. Doch auch hier verliert der Schweizer nicht seinen Humor. Zu Schostakowitschs groteskem Allegretto hat er sich eine süffisante Nijinski-Anspielung einfallen lassen. Sein Protagonist Marcos Menha gibt den berühmten Faun, der um drei Göttinnen stolziert und virtuose Kapriolen schlägt – das Erotische geht Menha allerdings ab.
Auch bei Jirí Kyliáns „Forgotten Land“ schwingt Wehmut mit. Das populäre Werk von 1981 tanzen sechs Paare überwiegend mit dem Rücken zum Publikum vor einer malerischen, nebelverhangenen Meereskulisse. Eine elegische Choreografie zwischen klassischem Ballett und Modern Dance, die unaufdringlich den Verlust von Heimat thematisiert zu Benjamin Brittens „Sinfonia da Requiem“. Auch hier schaffen die Düsseldorfer Symphoniker unter Axel Kobers Stab eine farbenreiche Klangkulisse.
Wie zwei historische Paukenschläge wirken die beiden jeweils nur wenige Minuten dauernden Tanzstücke der Jahrhundertchoreografin Graham. „Lamentation“ aus dem Jahr 1930 markierte damals ihren Durchbruch.
Eine Frau (Camille Andriot) steckt – wie eine Skulptur anmutend – von Kopf bis Fuß in einem fliederfarbenen Schlauch aus Stoff. Er ist Kopfbedeckung, Kleid, aber auch Zwangsjacke. Auf einer Bank hockend, lotet sie ihren Bewegungsspielraum im Modern Dance-Duktus aus. Sie ruckelt hin und her, dehnt sich in alle Richtungen, schaut durch den Schlauch wie durch ein Fenster in die Welt hinaus, bis sie schließlich den Kopf resigniert schräg nach unten fallen lässt. Eine Einsamkeitsstudie von ungeheurer Ausdruckskraft.
Ähnliches gilt für „Steps in the Street“. Es entstand 1936, nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs und nachdem Graham eine Einladung der Nazis zu den Olympischen Spielen nach Berlin aus politischen Gründen ausgeschlagen hatte.
Das Stück zeigt nie gesehene Frauen-Formationen in schwarzen Kleidern, die die Folgen von Kriegen verdeutlichen. Wie in einem antiken Fries ziehen die Tänzerinnen beispielsweise mit über den Köpfen gekreuzten Handgelenken vorüber, dann mit nach vorn gestreckten Armen wie beim Schlafwandeln oder mit seltsam verdrehten Oberkörpern.
Kann man Angst, Schmerz und körperliche Versehrtheit dramatischer und zugleich ästhetischer zeigen?