Konzertkritik Michelle im Capitol als nachdenkliche Power-Frau

Düsseldorf · Die Schlagersängerin holte am Sonntagabend die Kinder zu sich auf die Bühne. Der opulente Sound kam allerdings teilweise vom Band.

Mit durchtrainierten Tänzern an der Seite präsentierte Michelle ihre Show im Capitol. Ein Teil der Musik wurde vom Band eingespielt.

Foto: Claudia Hötzendorfer

„Seid Ihr gut drauf?“ fragte Michelle ihr Publikum im fast ausverkauften Capitol-Theater am Sonntagabend. Und wie gut alle drauf waren. Schon mit den ersten Takten hatte die Sängerin ihre Fans auf den Beinen, sie sangen ihre Hits ebenso textsicher mit we Songs von ihrem kürzlich erschienen Album „Tabu“, das ihrer aktuellen Tour auch den Namen gibt.

Die gerade einmal 1,56 Meter kleine Sängerin nahm vom ersten Augenblick an die Bühne ein. Tanzte und poste sich in Overknee-Stiefeln und Rollkragenbody durch die ersten Songs ihres Programms. An ihrer Seite vier durchtrainierte Herren, die in ihrer Choreografie zuweilen an die Boybands der 1990er erinnerten.

Die Mischung aus Schlager und Pop, mit ebenso eingängigen wie oft auch biografisch inspirierten Texten, spricht ein Publikum aller Altersschichten an. Michelle hatte keine Berührungsängste, nahm zwischen den einzelnen Liedern Blumen entgegen und sich immer auch ein, zwei Minuten Zeit für einen kurzen Wortwechsel mit ihren Fans.

Das Repertoire, ein Mix aus älteren Songs, darunter ihr erster Charterfolg „Und heut‘ Nacht will ich tanzen“, aus 1993, gute Laune-Hymnen, Liebesliedern und neuem Material.

Emotional wurde es gleich mehrmals an diesem Abend. Beispielsweise als Töchterchen Mia der Mama eine Videobotschaft schickte, die daraufhin die Kinder im Saal zu sich auf die Bühne einlud. Michelle setzte sich im Schneidersitz zwischen Alina, Samantha, Lara, Sina, Ruby und Hannah. „Eine reine Mädelsrunde“, scherzte die Sängerin und stimmte „Die kleine Prinzessin“ an. Eine Ballade, die sie für ihre älteste Tochter aus ihrer ersten Ehe mit dem ehemaligen Wind-Frontmann Albert Oberloher geschrieben hat. „Sie ist inzwischen schon 23“, verriet die stolze Mutter, die auch aus ihrer Ehe mit Matthias Reim eine Tochter hat.

Ein weiterer für das Publikum berührender Moment war, als die 46-jährige von ihren Höhen und Tiefen erzählte. „Jeder kennt doch diese Momente im Leben“, meinte sie und verwies darauf, dass sie ja bekannt für klare Worte sei.

Dem einen oder anderen mögen dabei die Schlagzeilen aus 2003 wieder in den Sinn gekommen sein. Damals erlitt die blonde Sängerin einen leichten Schlaganfall, hatte Depressionen und unternahm, wie sie später zugab, einen Selbstmordversuch. In der Folge zog sie sich zeitweilig aus dem Schlagergeschäft zurück und eröffnete einen Hundesalon.

2005 stieg sie mit einem neuen Album wieder ins Musikgeschäft ein, nur um zwei Jahre später das „Projekt Michelle“ als gescheitert zu erklären.

Aber alle guten Dinge sind drei. Nach einer Privatinsolvenz 2008 kam die inzwischen dreifache Mutter erneut zurück ins Schlagerbusiness und veröffentlichte ein Jahr später wieder ein Studioalbum.

Seitdem läuft es wieder rund für die zierliche Blondine, die auf der Capitol-Bühne vor Energie nur so sprühte und davon erzählte, wie sie selbstreflektierend ein Lied für Tanja geschrieben habe. Tanja Hewer, so heißt Michelle mit bürgerlichem Namen. Während sie davon sang, wie sie sich selbst Mut macht. Wie sie sich abschminkt, nachdem sie ihren Glitzerfummel ausgezogen hat, um in ihre Jeans zu schlüpfen, wurden auf einer Leinwand Aufnahmen von ihr selbst projiziert, mal lächelnd, mal melancholisch, natürlich und kaum geschminkt, mit nackten Schultern.

Doch der intime Moment währte nur kurz. Danach war sie wieder ganz die Powerfrau, mit wechselnden sexy Bühnenoutfits, an der Seite von vier muskulösen Tänzern, die sie immer wieder wie ein zerbrechliches Wesen in die Höhe hoben. Den Fans gefiel all das so gut, dass sie es hinnahmen, wenn der bisweilen opulente Chor ebenso vom Band eingespielt wurde wie so manches Instrument. Denn mit Michelle standen nur vier Musiker auf der Bühne, die zwar gut waren, aber den ganz großen Sound mancher Stücke nicht hätten spielen können. Aber darüber zu sprechen ist ja eigentlich „tabu“.