Neues Buch über den Komponisten Manfred Trojahn Ein wahrer Virtuose der Klänge

Düsseldorf · Manfred Trojahn ist einer der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Er lebt abwechselnd in Düsseldorf und Paris. Jetzt ist ein neues Buch über ihn erschienen.

Komponist Manfred Trojahn bringt Anfang März eine neue Oper in Amsterdam auf die Bühne.

Foto: Bärenreiter Verlag

Unter den großen Komponisten der Gegenwart ist Manfred Trojahn vermutlich einer der Offensten. Musikgeschichte ist für ihn kein Hochhaus, in dem jemand nur das Stockwerk seiner eigenen Zeit betreten darf. Trojahn komponiert mit der Kenntnis vieler Kulturräume, in seinen eigenen Werken durchdringen sie einander, sie atmen gleichsam osmotisch. Und weil Trojahn auch ein glänzender Dirigent ist, hat er diese Zeit- und Denkzonen oft selbst zum Klingen gebracht. Als langjähriger Kompositionsprofessor an der hiesigen Robert-Schumann-Musikhochschule hat er auch den Nachwuchs gelehrt, dass die eigene Position nur stabil bleibt, wenn sie sich dem Geflecht der Zeiten nicht entzieht.

Nun hat der Musikschriftsteller Robert Maschka ein vorzügliches Buch über den Komponisten Trojahn im Bärenreiter-Verlag vorgelegt. Maschka ordnet das Schaffen Trojahns ökonomisch und naheliegend nach Werkgruppen. Der 1949 im niedersächsischen Cremlingen geborene Komponist, Schüler von Diether de la Motte und György Ligeti, ist fraglos ein Allrounder, der sich in der Oper ebenso sicher auskennt wie im Sinfonischen. Er liebt die klassischen Kleinformen der Kammermusik, wie Trojahn überhaupt auch oft traditionelle Satzüberschriften wie Sonate oder Passacaglia wählt. Er liebt aber auch die Singstimme in Liedern oder in Chormusik, wobei er das menschliche Organ oft in Versuchung führt, aber nie überreizt. Stets merkt man, dass Trojahn ein Praktiker ist, der in seinen Lernjahren neben dem Fach Komposition auch Flöte (immerhin bei Karlheinz Zöller) und Dirigieren studiert hat.

Schon im Vorwort zeigt uns der Autor einen Wesenszug des Porträtierten: Maschka spricht von „Anspielungen auf Tonfälle anderer Komponisten“; sie seien „weniger direkt und dennoch eindeutig genug“. Als Hörer kennt man das akustisch-spirituelle Phänomen des Durchschimmerns vom Neoklassizismus Igor Strawinskys.

Was die Anspielungen betrifft: Wie der große Russe ist Manfred Trojahn mitnichten ein Raubkopierer. Er ist keine Verwertungsgesellschaft, die Melodien, Zitate und Tonfälle aus früheren Epochen an sich zieht und einfach verwurstet. Vielmehr zeigt sich Trojahns eigener Geist in jedem seiner Werke. Wie dienlich und kommunikationssicher er arbeitet, konnte man bei der Uraufführung seiner großartigen Oper „Orest“ in Amsterdam eindrucksvoll erleben. Den Text, den Trojahn nach dem monströsen Familiendrama des Euripides selbst bearbeitet hatte, verstand der Besucher in der Nederlandse Opera bestens, weil der Komponist das Orchester mit der Ökonomie des Opern-Pragmatikers führte. Er mochte es auch hier leise.

Gift floss durch die Kapillaren des Klangs, etwa bei der Piccoloflöte

Doch in den Momenten des Entsetzens wütete der Familienfluch offen im Aufruhr der Musik, und das schwere Blech schoss sich den Weg zum Ohr des Hörers frei. Gift floss aber auch, beinahe unmerklich, durch die Kapillaren des Klangs, wenn etwa Piccoloflöte und Kontrafagott sich zu einem bittersüßen Unisono vereinigten oder wenn die Streicher in einem verdächtigen Dur-Akkord flimmerten.

Es gab in „Orest“ viele solcher Stellen, da Trojahn das dissonant Zerklüftete und das harmonisch Befriedete einander sehr nahekommen lässt – man darf es als Einblick in die Situation einer desaströsen Familie nehmen. Dass Trojahn die Oboengruppe mit dem tiefgelegten Heckelphon grundierte, war mehr als nur eine Reminiszenz an Strauss’ Oper „Elektra“ – es war ein nostalgischer Gruß an eine schwere ferne Klangwelt, an samtdunkle Melodien, an das Umbra archaischer Holzbläser. Daneben griff Trojahn in Amsterdam erstmals zu den Mitteln elektronischer Übertragung. Die vokalen Halluzinationen, denen Orest ausgesetzt war, beschwor er aus Surround-Lautsprechern.

Die Nederlandse Opera erlebte damals einen gewaltigen Erfolg, was auch an der suggestiven Inszenierung von Katie Mitchell lag, die aus „Orest“ eine unfassbar blutige Familientragödie formte, mit halluzinativen Bildern in einer Art Setzkasten aus mehreren Etagen eines Palastes. In Amsterdam kommt am 5. März auch Trojahns neue Oper heraus, „Eurydice“, abermals ein antiker Stoff, in den Sonette von Rilke Eingang finden.

Ausführlich weist Maschka nach, dass es zwischen Trojahns eigenen Werken Querverbindungen gibt. Und wenn sich der Komponist mit der Musik ehrwürdiger Kollegen beschäftigt, dann handelt es sich um „Annäherungen“ etwa an Ligeti, Gustav Mahler oder Allan Pettersson, dessen Sinfonien Trojahn oft dirigiert hat, oder um „Anspielungen“ – etwa auf Schubert, Brahms, Ravel, Strauss oder Britten – mit dem Charakter einer Hommage.

Wer Trojahn-Partituren vor sich hat, staunt oft über die Virtuosität der Kunstbeherrschung, über seine Klangsinnlichkeit; nicht selten fühlt man sich an die reifen Partituren eines Richard Strauss erinnert. Und immer wieder blitzt die Musikgeschichte als Referenzgröße auf, als Bezugspunkt. Jener Vergleich mit Strawinsky wird den Komponisten Trojahn gar nicht ärgern, im Gegenteil: Im „Lux aeterna“ seines „Requiems“ gibt es einen Akkord, der eine direkte Leihgabe aus Strawinskys „Requiem Canticles“ ist.

Das ist kein Plagiat, sondern Ausdruck der Verbindung und Wertschätzung. Dass es diese Reflexe genau herausarbeitet, ist fast die wichtigste Qualität in Maschkas sehr gelungenem Buch.