Kunst Kunst-Performances im virtuellen Weiß
Düsseldorf · NRW-Forum: In der Ausstellung „Whiteout“ können Besucher die Körper-Aktionen über VR-Brillen miterleben.
Es ist schwarz im virtuellen Anbau des NRW-Forums: an den Wänden kleben schwarze Teppiche. Vier Drehstühle erinnern im UV-Licht an Sessel aus einem Science-Fiction-Film. Hier haben Paul Barsch und Tilman Hornig von der Künstler-Plattform „New Scenario“ laut Aussage des NRW-Forums etwas geschaffen, was es weltweit noch nicht gab: „Whiteout“ – eine Ausstellung, in der Kunstwerke von zeitgenössischen Performance-Künstlern komplett virtuell erlebbar sind. „New Scenario“ hat sich einen Namen damit gemacht, Online-Schauen mit internationalen Künstlern abseits des „White Cube“, also des klassischen Museumsraums, umzusetzen.
Ich hocke mich auf einen Drehstuhl, setze mir die VR-Brille samt Kopfhörer auf. Zunächst sehe ich nur braunweiße Pünktchen. Eine sonore männliche Stimme ertönt, zählt einen Countdown hinunter und kündigt drei Performances an, die ich mir anschauen kann. Inzwischen ist alles weiß vor meinen Augen. In der Ferne erblicke ich ein winziges, knäuelartiges Gebilde. Mit einem Controller in der Hand kann ich mich näher heranklicken. Ich erkenne den dänischen Künstler Christian Falsnaes. Regungslos steht er da: Pullover und Hose in Schwarz, barfuß. Einige Meter von ihm entfernt eine Performerin, gleiches Outfit, nur trägt sie schwarze Schuhe. Vor Falsnaes wartet ein Mann hinter einer Film-Kamera mit Dolly auf einer Schiene. „Studio“ nennt er sein Werk, er inszeniert das Making-Of seiner Performance.
Ein leiser, unheimlicher Sound ist zu hören. Die Atmosphäre wirkt beklemmend. Irgendwann befiehlt die Performerin dem dänischen Künstler, in die Kamera zu schauen. Ihr Ton ist harsch, militärisch. Einige Minuten später fordert sie ihn, sich mit allen Körperteilen zu bewegen, was er tut. Falsnaes lässt alle Glieder zappeln, was klamaukig aussieht – ich muss schmunzeln, fühle mich aber zugleich bedrückt. Ich denke an Foltergefängnisse, an Guantánamo, an Abu Ghraib, an Folterstätten von Drogen-Kartellen.
Schließlich soll Falsnaes so laut schreien wie möglich – er führt den Befehl aus. Schreit und schreit und schreit. Ich spüre am eigenen Leib, wie er seine Stimmbänder schindet, der Lärm in den Ohren macht mich kirre, mir wird immer unbehaglicher zumute, doch ich kann nicht entkommen. Es sei denn, ich setze die VR-Brille ab, aber ich will das Gebrüll aushalten. Nach zehn Minuten endet die Inszenierung von Falsnaes.
Die Performance im virtuellen Raum wirkt vielleicht intensiver als sie im realen Raum wirken würde. Denn da sind nur die Künstler in purem Weiß. Keine optischen Ablenkungen, keine Besucher, auf deren Reaktionen ich bei einer realen Performance mitachten würde. Der Titel „Whiteout“ ist das Konzept von Paul Barsch und Tilman Hornig. Whiteout bezeichnet ein meterologisches Phänomen: Bei einem Schneesturm etwa verschwindet der Horizont, alles wird ausgeweißt. „New Scenario“ hat dieses Prinzip künstlerisch umgesetzt. In einem Düsseldorfer Film-Studio wurde eine weiße Hohlkehle aufgebaut – eine runde Wand, vor der die Performances ohne optische Störungen durchgeführt wurden.
Wenn man sich mit dem Sessel nach links oder rechts dreht, erlebt man die anderen beiden Performances. In „Staged?“ der zypriotischen Künstlerin Maria Hassabi treffe ich auf vier Tänzerinnen in Harlekin-Kostümen – darunter sie selbst. Sie liegen oder sitzen, ihre Körper sind verdreht, gebogen, ineinander verschachtelt. Im Zeitlupen-Tempo recken sie ihre Beine in die Luft, winkeln sie an, strecken die Arme aus, biegen sich zueinander hin oder voneinander weg, umarmen und küssen sich. Hassabi und ihre Mitstreiterinnen zelebrieren eine entschleunigte Akrobatik, man sieht ihre atmenden Körper, die dezenten Bewegungen der Muskeln. Ihre Körper formieren sich aber auch zu lebenden Skulpturen mit permanent wechselnden Formen.
Die dritte Performance vollführt die ghanaische Transgender-Künstlerin Va-Bene Elikem Fiatsi alias „crazinisT artisT“. Titel: „wouNded-wouNd“. In rotem Kleid schreitet sie zu einem roten Tuch auf dem Boden, entblößt sich nach und nach und kniet sich vor eine Kloschüssel mit flüssigem Zement. Fiatsi steckt ihren Kopf immer wieder hinein und wieder hinaus, ihr Gesicht ist beschmiert, ihre Rastazöpfe verklebt. Mit dem Mund fischt sie nach Gegenständen im grauen Brei – mal misslingt es, mal gelingt es und zwischen ihren Zähnen klemmt ihr verschmutzter BH. Fiatsi atmet immer schwerer. Ihre Performance mutiert zum Kampf, zur Qual, zur existenziellen Bedrohung. Ihre zunehmende Erschöpfung überträgt sich auf mich. Ich fühle mich aufgewühlt, schwer, beklommen. Fiatsi inszeniert die Kämpfe ihrer eigenen Verwandlung vom Mann zur Frau, die Kämpfe gegen die Intoleranz etwa ihrer Eltern, die Kämpfe, sich für die eigene Identität immer wieder rechtfertigen zu müssen.
Diese Virtual-Reality-Schau ist mehr als bloße digitale Spielerei, sie ist ein Gewinn für die Kunst.