Musik Theo Kreitens Fantasie: Ein musikalischer Schatz wird gehoben
Düsseldorf · Das Orchester der Landesregierung führt ein unbekanntes Meisterwerk des Vaters von Karlrobert Kreiten auf.
Es war ein bewegender Moment und eine Sternstunde der Kulturstadt Düsseldorf, als Gilbert von Studnitz das Original-Manuskript seines Großvaters Theo Kreiten, die „Fantasie für Klavier und Orchester“ dem Kulturdezernenten Hans-Georg Lohe für sein städtisches Archiv überreichte. Theo Kreiten ist als Komponist leider in Vergessenheit geraten, umso bedeutsamer war die Uraufführung seiner „Fantasie“ in der Tonhalle durch das Orchester der Landesregierung unter der Leitung von Christian Ludwig.
Bianca Petzinka entdeckte die Partitur im Archiv des Orchesters
„Die Sache war ein Krimi“, so beschreibt Bianca Petzinka, Schriftführerin des Orchesters, die Entdeckung der Partitur. Eigentlich wollte sie vor drei Jahren nur die Notenbestände des Orchesters neu ordnen. Dabei stieß sie auf die Partitur der „Fantasie für Klavier und Orchester“. Fragen und Rätsel tauchten auf: Wann wurde das Werk geschrieben? Wurde es jemals aufgeführt? War der Klavier-Solopart für seinen Sohn Karlrobert gedacht? Wieso taucht ein solch großes, bis dahin unentdecktes Werk nach über 80 Jahren plötzlich auf? Darf man „Raubkunst“ vermuten?
Als Komponist, der in Düsseldorf lebte und wirkte, ist er in Vergessenheit geraten. In Verbindung mit seinem Sohn Karlrobert Kreiten wird er bisweilen erwähnt. Dieser galt nämlich in den 30er und 40er Jahren als eines der größten Pianisten-Talente in Deutschland, hatte in Köln studiert, war dann Arrau-Schüler und in jungen Jahren bereits ein gefragter Konzertpianist, bis sein Leben tragisch endete. Als er sich im privaten Umfeld einmal kritisch über das Hitler-Regime äußerte und den Niedergang der Nazi-Diktatur prophezeite, wurde er von einer Freundin seiner Mutter denunziert; wenige Tage später von der Gestapo verhaftet, in Berlin von Freisler zum Tode verurteilt und wenige Tage später in Berlin-Plötzensee ermordet. Das war 1943.
Vater Theo emigrierte mit dem Rest der Familie ins Elsass, kehrte aber nach Kriegsende in seine Heimatstadt zurück, wo er am Düsseldorfer Konservatorium seine Lehrtätigkeit in Klavier, Theorie und Komposition wieder aufnahm. Heute gibt es in Mörsenbroich eine Kreitenstraße und auf dem Südfriedhof eine Steintafel im Gedenken an Theo und Karlrobert Kreiten.
Wie nun sollte eine Uraufführung realisiert werden? Es stellten sich Sponsoren zur Verfügung, allen voran die Stiftung Lichterfeld, die die Aufführung von Musik verfemter Komponisten fördert, dann auch die Deutsche-Bank-Stiftung. Die Musikhochschule Köln half bei der Bearbeitung der Noten. Florence Millet erarbeitete mit Studierenden spielbare Orchesterstimmen, die inzwischen auch im Druck erschienen sind. Den Pianisten, der den Solopart übernehmen sollte, rekrutierte man ebenfalls in Köln. Dort, wo Karlrobert studiert hat, wird jährlich der „Karlrobert-Kreiten-Klavierwettbewerb“ in Erinnerung an den von den Nationalsozialisten ermordeten Pianisten ausgetragen. Philipp Scheucher aus der Klasse von Ilja Scheps, erster Preisträger des diesjährigen Wettbewerbs, übernahm den Solopart der Fantasie. So schließt sich der Kreis, indem der Gewinner den Part übernimmt, der eigentlich dem Namensgeber dieses Concours zugestanden hätte. Scheucher gestaltete die Solo-Passagen transparent, mit sensiblem Anschlag und brillant virtuos. Dirigent Ludwig ließ ihm alle Freiheiten der Gestaltung, stellte sein Orchester auf präzise Einsätze ein und entfaltete einen Klang der Diversitäten. Brahms, Mahler, Rachmaninoff, Debussy, Gershwin: alle Facetten waren vertreten und verschmolzen zu einem Personalstil mit Wiedererkennungswert. Egal ob Fugato, Bigband-Sound, Swing, Filmmusik: diese Musik ist meisterlich und ihre Entdeckung eine Sensation. Bianca Petzinka sei Dank für die Hebung dieses Schatzes, dessen Original-Partitur jetzt im Düsseldorfer Kultur-Archiv aufbewahrt wird.
Das Orchester, das aus über 80 Mitgliedern besteht, ein reines Liebhaber-Orchester, realisierte all die technischen und klanglichen Hürden den Möglichkeiten entsprechend souverän. Eine großartige Leistung, getragen von Engagement und Herzblut. So gelang ihnen ebenso überzeugend Wladyslaw Szpilmans „Concertino“ (mit dem Pianisten Valère Burnon, dem zweiten Preisträger des Kölner Hochschul-Wettbewerbes) wie auch Tschaikowskys (Schicksals-) Sinfonie Nr. 5 e-moll. Ludwig zog alle Register und führte sein Orchester zu einem triumphalen Finale. Die größte Leistung dieses Orchesters im Jahr 2019 ist, ein Meisterwerk uraufgeführt zu haben. 132 Jahre wäre Theo Kreiten heute, der vom Niederrhein stammend in Maastricht studiert hat, und über Köln, München, Saarbrücken und Bonn schließlich 1917 in Düsseldorf sesshaft wurde, wo er 1960 als 73-Jähriger starb. Er komponierte, er lehrte, er konzertierte, er schrieb Musikrezensionen, er verfasste eine Biografie über seinen verstorbenen Sohn. Wie konnte es nur geschehen, dass dieser große Düsseldorfer so in Vergessenheit geriet?
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