Schauspielhaus: Goethes Welttheater als Kammerspiel
Oliver Reese ist Intendant am Schauspiel Frankfurt. Im Kleinen Haus inszeniert er die „Wahlverwandt- schaften“.
Düsseldorf. Der Rülpser eines Kollegen bringt Marianne Hoika aus dem Konzept. Regisseur Oliver Reese empört sich amüsiert: „Marianne, hat es so etwas am Düsseldorfer Schauspielhaus schon mal gegeben?“
Seit 1969 ist die Schauspielerin am Haus. Reese wollte sie als Erzählerin für seine Inszenierung von Goethes „Wahlverwandtschaften“. Der Regisseur setzt auf Schauspieler, die das Publikum kennt. Noch wird im Central am Hauptbahnhof probiert, Text fliegt raus, Szenen verändern sich. Es wird diskutiert, bis alle überzeugt sind. Premiere ist am Sonntag, 17. März, im Kleinen Haus.
Die Stimmung ist locker. „Ich will den roten Koffer nicht sehen. Ich will ihn nur hören“, erklärt Reese und lacht über den Widersinn seiner Worte. Im nächsten Moment herrscht konzentrierte Stille. Rainer Galke und Bettina Kerl, Goethes Hauptmann und die verzweifelte Charlotte, kommen sich näher.
Reese springt von seinem Regiestuhl auf und dirigiert mit großer Geste die Technik: Musik untermalt den leidenschaftlichen Kuss. Breitbeinig steht er da und stützt die Hände in die Hüften. „Das ist doch gut“, sagt er zufrieden. Zum zweiten Mal inszeniert der Intendant vom Frankfurter Schauspielhaus in Düsseldorf.
Täglich pendelt er zwischen den beiden Städten hin und her. Auf „Treulose“ nach Ingmar Bergmann folgt nun der Goethe-Roman, über den Reese sagt: „Das ist Welttheater im Kammerspielformat.“ Gekürzt hat er das große Werk, und sinnfällig verdichtet, wie er sagt. Die Sprache aber hat er gelassen.
Goethe beschreibe ein Lebensgefühl in dieser Geschichte, in der zwei Frauen und zwei Männer in verschiedenen Konstellationen miteinander verbunden sind, das uns nah sei. Er gehe der Frage nach, wie Bindungen entstehen. „Wahlverwandtschaften“ — den Titel, der aus der Naturwissenschaft stammt, verwende Goethe als reine Ironie. „Es ist ein Experiment, das grausam schiefläuft.“
Den Theaterabend schätzt Reese auf etwa zweieinhalb Stunden. „Die Menschen werden dass hoffentlich sehen wollen“, erklärt er und wirkt dabei mehr als überzeugt. Der Regisseur setzt auf bildungsbürgerliches Interesse, Besucher, die das schwer zu lesende Werk auf diese Art erleben wollen. Jeder habe von den „Wahlverwandtschaften“ gehört, kennen würden die meisten höchstens die schlechte Verfilmung von Chabrol. „Diese Menschen will ich mit der Geschichte verführen.“
Als Regieassistent hat der 1964 in Schloss Neuhaus bei Paderborn geborene Theatermann bereits in Düsseldorf gearbeitet. Als Dramaturg war er in München und Ulm, als Chefdramaturg am Maxim Gorki Theater in Berlin und als stellvertretender Intendant am Deutschen Theater in Berlin.
In Frankfurt leitet er das Schauspiel seit der Spielzeit 2009/2010 als Intendant. Trotzdem ist es ihm wichtig zu inszenieren, wenn auch nur selten. Doch eines sei auch klar: Eifersucht auf den Erfolg anderer Regisseure sei eine Eitelkeit, die sich ein Intendant nicht leisten könne.