"Stimme frisst": Große Oper ohne Gesang
„Stimme frisst“ von Stephan Kaluza beim Sonntagsfoyer im Opernhaus.
Düsseldorf. Wer das Opernhaus am vergangenen Sonntagabend aufgesucht hatte, um sich am Kunstgesang zu erfreuen, könnte enttäuscht gewesen sein. Denn live gesungen wurde nicht eine Note. Ein „F“, dann ein „C“ steuerte die im neongelben Kostüm steckende Operndiva mit aller Gewalt an, doch ihr wollte kein Ton aus der Kehle kommen.
Der zum Singen geöffnete Mund und die in Kraft gesetzte Atemstütze weckten akustische Erwartungen, doch zu hören war nichts. Stattdessen brauste im Anschluss an den gescheiterten Singversuch ein Seelenstriptease der vokal gehemmten Sängerin über uns hinweg. Zum Sprechen reichte die Stimme vollkommen.
In der Rolle der hadernden Primadonna zu erleben ist Janina Sachau, Ensemblemitglied des Düsseldorfer Schauspielhauses. Mit enormer darstellerischer Energie bringt sie Leben in das Ein-Personen-Stück des Künstlers und Schriftstellers Stephan Kaluza, den Intendant Christoph Meyer um einen Beitrag für die Reihe Sonntagsfoyer im Opernhaus gebeten hatte.
„Seit der faszinierenden Aufführung von Kaluzas ‚Atlantic Zero’ im Schauspielhaus vor zwei Jahren hatte ich den Wunsch, den Künstler für ein Projekt in unserem Haus zu gewinnen“, sagt Meyer im WZ-Gespräch. Befreundet sei man schon seit längerer Zeit miteinander, ein Kontakt, der einst durch den Regisseur Sönke Wortmann in Münchner Studienzeiten zustande gekommen sei.
In Kaluzas hysterischem Diven-Monolog sprechen Angstneurosen und eine Hassliebe zum Publikum, das sie offensiv anspricht: „Heute Abend etwas Kultur? In die Oper gehen — schööön!“ Mit ironischem Unterton verspottet die Sängerin den bildungsbeflissenen Bürger.
Und das erinnert so etwas an Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ der 60er Jahre. Hier nun sitzen die Besucher nicht im Parkett und auf den Rängen, sondern am gedeckten Tisch, festlich mit weißen Tischtüchern und Stoffservietten; Hoch- und Tisch-Kultur in lukullischer Zweisamkeit. Das Podium ist aufgebaut, der Flügel steht bereit, man lehnt sich zurück und wartet auf Arien, Wein und Pasta.
Aber gesungen wird ja nicht. Stattdessen lässt Herr Kaluza die Gäste von einer etwas beängstigenden Suada überströmen. Die verrückt gewordene Diva streift nah an den Tischen vorbei, kennt auch keine Berührungsängste. „Wie das alles funktioniert mit dem Singen, also rein körperlich — Sie wollen doch, dass ich es Ihnen erkläre!“, unterstellt sie uns.
Und sogleich folgt eine bizarre Expertise über Stimmbänder, Lunge, Zwerchfell und Seele. Am Ende hockt die Dame auf dem Flügel und macht Bewegungen als würde sie etwas aus sich herauspressen. „Ich gebäre mich selbst“, ruft sie angestrengt. „Sie wissen jetzt von Ihrem Glück, nicht Ich zu sein.“ Nach der Erkenntnis kommen Wein, Wasser und Nudeln mit Tomatensoße. Die Stärkung hat man sich verdient.