Gespräch mit Susanne Gaensheimer Fotograf Thomas Ruff stellt Behauptungen auf

Für ein neues Videoformat befragt die Kunstsammlungs-Chefin den Fotokünstler. Das Gespräch ist so erhellend wie ein Seminar.

Susanne Gaensheimer und Thomas Ruff im entspannten Gespräch für die Videoreihe „Talks“.

Foto: Kunstsammlung

Gleich zu Beginn zeigt die Kamera das Atelier von Thomas Ruff im Panorama, und sowas ist ja immer schön, weil man da die Atmosphäre schnuppern kann, in der jemand schafft und schöpft. Bei dem Düsseldorfer Fotokünstler sieht das so aus: weiße Wände, cleaner Boden, ein Mao-Bild. Flugzeug und Raumschiff-Modelle, paar Kartons und eine Holzkiste, dazu tolle Ledersessel in Hellbraun. Ruff sitzt bequem darin und trägt Badelatschen; er ist hier schließlich zu Hause.

Lakonisch „Talks“ ist das 30 Minuten lange Youtube-Video betitelt, das dokumentiert, wie Susanne Gaensheimer, die Chefin der Kunstsammlung NRW, Thomas Ruff befragt, dessen Ausstellung gerade im K20 zu sehen wäre, wenn es das Coronavirus nicht gäbe. Das Gespräch ist großartig und faszinierend. Es ist überhaupt nicht akademisch und ersetzt doch eine Vorlesungsreihe zum Thema zeitgenössische Fotografie.

Gaensheimer fragt klug und konzentriert, Ruff plaudert aus dem Nähkästchen. Er erzählt, wie er zur Klasse von Bernd und Hilla Becher stieß, die damals als die langweiligste der Kunstakademie galt. „Alle machten das gleiche“, und dann noch in schwarz-weiß. Ruff zunächst auch, Interieurs nämlich, aber bald entstand die Reihe von farbigen Porträts, mit denen er berühmt geworden ist. Warum Porträts? „Sie waren 1981 aus der zeitgenössischen Kunst verschwunden.“ Ruff hatte kurz zuvor den Roman „1984“ gelesen, und er bat Freunde und Bekannte von der Ratinger Straße, sie mögen bitte nicht lächeln, sondern selbstbewusst in die Kamera gucken. Und zwar so, als schauten sie in Big Brothers Kamera.

Das große Format
war der Durchbruch

„Ich wollte das Porträt auf Point Zero zurückführen“, sagt Ruff. Er arbeitete erst im kleinen Format 18 Mal 24 Zentimeter, was finanzielle Gründe gehabt habe. Er versuchte später, als er ein bisschen mehr Geld hatte, ein mittleres Format, was aber nicht gewirkt habe. Und schließlich wählte er das ganz große Format. Das war der Durchbruch. Die Größe habe viele Betrachter irritiert, gar verstört, erinnert sich Ruff. Man warf ihm vor, die Arbeiten wirkten anti-individualistisch. Deshalb nannte er fortan die Namen der Abgebildeten, die er zuvor gar nicht in den Bildunterschriften erwähnt hatte. „Die Leute haben die Fotos mit der Wirklichkeit verwechselt“, sagt Ruff. „Aber die Fotografie kann keinen Millimeter unter die Haut gehen.“

Ruff erklärt, warum er immer mit Reihungen arbeitet. „Jedes Foto ist eine Behauptung, die ich aufstelle.“ Wie ein Wissenschaftler müsse er Beweise dafür liefern, dass seine These richtig sei. Deshalb liefere er mehrere Porträts. Im Idealfall wären das so viele, wie es Menschen auf der Welt gebe.

Seit seinen Sternbildern arbeitet Ruff viel mit gefundenen oder gekauften Fotografien, die er bearbeitet. Wie steht es da mit der Autorschaft? „Adé, Autorschaft“, sagt Ruff zunächst, aber – wie man bald merkt – vor allem um der Pointe willen. Denn die fremden Fotos seien lediglich Quellen, Ausgangsmaterial, das er bearbeite, aus den Zusammenhängen reiße und zu Pixelmasse auflöse. Aus der „totalen Dekonstruktion der Fotografie“ schaffe er dann das neue Bild. Und von dem sei doch wieder der Autor. Er treibe auf diese Weise die Reflexion über die Fotografie voran. Wie er die Bilder finde, die er bearbeite, möchte Susanne Gaensheimer noch wissen. „Sie finden mich“, antwortet Ruff. Manchmal stoße er auf Bilder oder Ereignisse, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gingen. Dann beginne er deren Geschichte zu recherchieren. Und womöglich komme es danach zum Ruff-Bild. „Aber das ist nicht steuer- oder vorhersagbar.“