Theater: Weckerticken bis zum Exitus

Das Ein-Mann-Stück im Schauspielhaus, „Sechs Gramm Caratillo“, besticht mit Brüchen der Handlung, schlichter Bühne und brillantem Schauspieler.

60 Minuten hat der namenlose Wissenschaftler noch zu leben, nachdem er "Sechs Gramm Caratillo" eingenommen hat. 60 Minuten, bis das Rattengift seine tödliche Wirkung vollbracht hat. Das Ticken des Weckers, der nach einer Stunde klingeln wird, wählte Regisseur Alexander Cröngen geschickt als Leitmotiv des Momento Mori. Der Bühnentechniker brilliert mit seiner ersten Inszenierung nach einer Erzählung von Horst Bienek. Am Mittwoch feierte das Stück Premiere im Unter Haus des Schauspielhauses.

Die Bühne ist schlicht: Ein abgenutzter Tisch wie aus einer Junggesellenwohnung, ein Spiegel, eine alte Lampe. Und eine Kamera, mit der der Mann den Monolog seines Ablebens filmt und so nah heran zoomt, dass nur seine stierenden Augen auf dem Bildschirm zu erkennen sind. Überragend ist der Solodarsteller Jean-Luc Bubert: Wie er zunächst medizinisch-analytisch den eigenen Puls fühlt und Lähmungserscheinungen protokolliert und sich dann zusehends in wahnhafte Kindheitserinnerungen hineinsteigert.

So phantasiert er von seinem verletzten Vater, den er im Schnee zurück lassen muss. Dabei weht Bubert auf der Bühne weißes Konfetti aus der Tasche: Ein wunderbar surreales Moment inmitten der äußerlich nüchternen Versuchsanordnung.

In den Irritationen und Ungewissheiten liegt die Stärke der Inszenierung. So bleibt der Ansprechpartner für den Monolog des Sterbenden undefinierbar: Ist es die Kamera, das Ich, die Nachwelt oder das Publikum, das zum Ende gefilmt wird?

Cröngen bricht die Illusion gleich zu Beginn, als er Bubert auf die Bühne schlurfen und sagen lässt: "Sechs Gramm Caratillo, wurde mal von Klaus Kinski gelesen, na, und?" Später steht Bubert mitten im Todeskampf plötzlich wieder auf. Dies ist das konsequente Beinahe-Ende eines Lebens, in dem der Protagonist nichts zu Ende führte: Er konnte seinen Vater nicht retten, seinen Professor nicht beeindrucken und die Liebe zur Mutter des Freundes nicht ausleben.

Trotz der morbiden Atmosphäre birgt das Stück eine makabre Komik. Etwa bei der Suche nach der perfekten Pose zum Sterben. Oder als Bubert in einem verstaubten Medizinbuch nachschlägt und feststellt, dass sein Symptom - Lähmungserscheinungen zuerst in den Beinen - auf einen längeren Todeskampf hindeuten. 60 Minuten Theater, die sich lohnen.