Auftritt Joshua Bell: Das „cremige“ Konzert eines Geigen-Stars
Düsseldorf · Joshua Bell spielte mit seiner Academy of St. Martin in der Tonhalle. Und das routiniert, aber niemals langweilig.
Kein Wunder, dass Joshua Bell in den USA bei Klassikfans noch bekannter ist als Anne Sophie Mutter. Der amerikanische Geigenstar gehört – nicht nur dort – zumindest zur gleichen Qualitätsstufe wie die ‚Mutter‘. Das machte Bell am Donnerstag mit seiner Interpretation des Tschaikowski-Violinkonzerts deutlich. Im Rahmen der zweiten Meisterkonzert-Reihe (in der ersten wird im Mai A.S. Mutter zu hören sein) spielte der 51-jährige Amerikaner zusammen mit ‚seiner‘ Academy of St. Martin in the Fields aus London. Denn Bell leitet seit 2015 den britischen Nobel-Klangkörper, der vor 60 Jahren von Sir Neville (Marriner) gegründet wurde. Und beweist eindrucksvoll, dass ein solch gediegenes Orchester selbst bei einem hochromantischen und komplexen Werk beinah ohne Dirigent auskommen kann. Er spielt, mit vollem Körpereinsatz und virtuos, vorne an der Rampe, gibt in reinen Orchesterpassagen einige wenige Einsätze durch Kopfnicken oder Geigenbogen-Rudern. Lässig. Und dass die Academy sauber, elegant und brillant spielt – darauf kann sich Bell verlassen.
Das D-Dur- Werk für Sologeige und Orchester verlangt dem Solisten alle Konzentration und Virtuosen-Kunststücke, Power und ein wahres Turbotempo ab. Und all‘ das bietet Bell mit Bravour und elektrisiert die Zuhörer, die gebannt auf der Stuhlkante sitzen und daher – in der voll besetzten Tonhalle – ein beinah hustenloses Hörvergnügen ermöglichen. Teufelsgeiger-Tempo, makelloses Spiel, alle farblichen Schattierungen. Bell lässt keine Wünsche offen. Stradivari-Glanz in Hülle und Fülle, aber auch voller, warmer Sound.
Geglättete oder hochpolierte Langeweile kommt nicht auf
Er ist zwar ein Routinier, der dieses Werk bereits mit den Berliner Philharmonikern auf CD eingespielt hat. Hütet sich jedoch vor geglätteter und hochpolierter Langeweile. Vielmehr überrascht der agile Geiger, der die extrem langen Notenketten mit Leichtigkeit zusammenbindet, durch tiefe, bronzierte Töne. In einigen Augenblicken lenkt er seine leuchtende Kunst in die häufig beschworene (und selten erreichte) Rembrandtsche Dunkelheit. Besonders in der Canzonetta im Andante-Satz, aber ebenso in dem finalen Allegro ‚vivacissimo‘ erklingen raue, bohrende Töne. So entfacht er eine Hoch-Spannung, die sich erst nach dem letzten Akkord in einem Bravosturm entlädt. Stehende Ovationen sofort in allen Reihen und Rängen für Joshua. Auf eine Zugabe verzichtet er.
Die ‚Academy‘ zeigt sich von ihrer besten Seite bereits im ersten Teil mit Georges Bizets Symphonie Nr. 1 – einem Jugendwerk aus der Feder des 17jährigen Studenten, der später einmal ‚Carmen‘ komponieren sollte. Das Stück bietet wenig Komplexität, schwingt und wogt vor sich hin. Die Academy mit Konzertmeister Joshua Bell, der vom gepolsterten Pianisten-Hocker aus lapidare Einsätze gibt, macht durch rasantes Tempo und funkelnde Brillanz die Schwächen des in Maßen unterhaltsamen Stücks vergessen. Wenn im melancholischen Adagio eine fließende Musik die Tonhallenbesucher einhüllt und einlullt, wird der Sound so richtig schön cremig. Kantenlose Unterhaltungsmusik. Kann ja auch mal schön sein.
So auch der Aperitif „Ouvertüre für Orchester und Violine“, den Bell kredenzte – aus der Feder von Edgar Meyer, einem befreundeten Tondichter, den Bell aus dem Studium kennt. Das Geigensolo strahlt in Schönheit – doch die Mixtur aus Jazz und Neuer Musik kann trotz der Klangkultur der Academy wenig überzeugen. Ein winziger Schönheitsfleck in einem ansonsten meisterlichen Meisterkonzert.