Verneigung vor Marianne Faithfull
Fans feiern in Oberbilk die Grand Dame der 60er Jahre.
Düsseldorf. Es gibt Konzerte, die mehr sind als die bloße Aneinanderreihung von Songs. Sie sind Biografien. Zusammenkünfte, bei denen die vor der Bühne merken: Das hier dreht sich nicht um Hits. Das hier ist gelebte Geschichte und ein Blick ins Innere des kollektiven Musikbewusstseins. Wenige Künstler schaffen es, diese Atmosphäre zu kreieren. Dylan ist so einer. Oder Marianne Faithfull. Ihr Auftritt in der Halle an der Siegburger Straße ist die Geschichte eines ganzen Musikerdaseins.
Es ist die Geschichte des Pop. Sie beginnt vor 50 Jahren, als Faithfull ihren ersten, von Mick Jagger für sie geschriebenen Song „As tears go by“ sang. Und sie endet in der Gegenwart, wenn sie mit 67 Jahren von einer Hüftoperation gebeutelt auf einen Krückstock gestützt oder von Bühnenhelfer Claudio wie eine Oma betüddelt im Sessel sitzend singt. Man sieht Faithfull ihr Leben an. Jede langsame Bewegung steht für eine der zahllosen Nächte des Exzesses, für eine der vielen Stunden am Abgrund. So, wie sie es schon 2009 in ihrer grandiosen Autobiografie „Memories“ offenlegte.
Ihre Stimme klingt zerschossener denn je. Rau. Dunkel. Bebend. Uralt. Mit ihr singt sie „Give my love to London“ — ein Lied, in dem sie als Seeräuber-Jenny aus der Dreigroschenoper durch den Großstadtmoloch rauscht und sich an allen, die sie je verletzten, rächt. Dabei war sie selbst es, die sich beinahe ruinierte. Mit Drogen. Mit „Sister Morphine“. „I look at everything I’ve done“ heißt es entsprechend in der Lebens-Abrechnung.
„Love more or less“, die nach Faithfulls eigenen Worten den „Sixties-Abschnitt“ des Konzertes vom „Junkie-Abschnitt“ trennt. Zur Junkie-Seite gehört auch das abgrundtief melancholische „Late Victorian Holocaust“. Diesen Song bekam sie von Nick Cave geschenkt, der die Künstlerin und ihre Band musikalisch beeinflusst hat mit seinem Mörderballaden-Blues.
Andere Stücke stammen von Roger Waters (Pink Floyd), den Everly Brothers, von Damon Albarn (Blur) und Anna Calvi. Der Pop und seine Protagonisten verneigte sich immer schon vor Faithfull. Am Ende hat sie schließlich ihr Leben einmal erzählt. Mit Witz und Charme und einer Grandezza, nach der sich die Starpüppchen von heute die Finger lecken. Faithfull sah die Popmusik losbrechen. Sie erlebte deren tragische Figuren so hautnah, dass sie im Rausch selbst eine von ihnen wurde. Und sie ist immer noch da und berichtet von alledem.