METRO Marathon 2019 Das Geschäft mit dem Sport
Düsseldorf · Düsseldorf will ein größeres Stück vom wachsenden Marathon-Kuchen abhaben. Für alte Enthusiasten bleibt da wenig Platz.
Erstmals nach 17 Jahren ist der „Erfinder“ des Düsseldorfer Marathons am Sonntag nicht mehr der Laufchef: Jan Winschermann hat die Aufgabe an Sonja Oberem übergeben. „Mit schwerem Herzen“, wie er im vergangenen Sommer gestand, als seine alles andere als freiwillige Ablösung anstand.
Daher ist am Sonntag Vieles neu, gegen das sich Winschermann lange gewehrt hatte, aber letztlich wurde er von den geänderten Laufwünschen vieler Teilnehmer überrannt. Winschermann galt nämlich als Gralshüter des reinen Marathons. „Genau 42,195 Kilometer und nichts Kürzeres gibt es bei mir in Düsseldorf, so lange ich der Chef bin“, lautete seine beharrliche Botschaft über Jahre hinweg. Trotz der immer lauteren Forderungen, auch kürzere Strecken in das Event aufzunehmen.
Besonders populär ist der Lauf über die halbe Strecke. Nicht jeder Hobbyläufer — und sei er noch so ambitioniert — schafft es, sich für einen vollen Marathon in Form zu bringen. Da sind die 21,1 Kilometer eine willkommene Alternative, um trotzdem Teil derer zu sein, die Jahr für Jahr über berühmte Straßen in den Metropolen dieser Welt laufen. Die Veranstalter freut es, denn natürlich bedeuten mehr Teilnehmer mehr Einnahmen.
Winschermann wehrte sich dennoch gegen die kurze Distanz. Und verlor den Machtkampf schließlich im vergangenen Sommer gegen die Golazo Sports Group, ein belgisches Unternehmen, das pro Jahr rund 250 Sportevents organisiert, darunter zahlreiche Rad- und Laufveranstaltungen. 2016 hatte die Rhein-Marathon Düsseldorf GmbH eine „strategische Partnerschaft“ mit Golazo geschlossen. Ziel war es, mehr Läufer anzulocken, besonders aus den Benelux-Staaten.
Firma soll Teilnehmer- und Besucherzahlen steigen lassen
Das sollte sich auch für die Stadt auszahlen: „Ich bin optimistisch, dass wir das Starterfeld signifikant vergrößern werden. Düsseldorf ist eine hochattraktive Region nicht nur für Läufer, sondern auch für deren Familien. Wir werden die Besucherzahlen in Düsseldorf deutlich steigern“, ließ sich Winschermann damals in einer Mitteilung über die neue Zusammenarbeit zitieren. Doch für ihn persönlich endete die nicht glücklich: Im vergangenen August wurde er von den neuen Geldgebern aus seiner Chef-Position gedrängt. Die Belgier trauten ihm nicht zu, weiteres Wachstumspotenzial zu generieren, weil er in ihren Augen zu sehr auf seinem großen Marathon beharrte.
Nun gibt es auch in Düsseldorf erstmals einen Halbmarathon, nicht zufällig im Jahr eins nach Winschermann. Um 8.15 Uhr und nur durch das rechtsrheinische Düsseldorf wird er gehen, derweil der klassische Marathon (Start um 9.30 Uhr) die bisherige Strecke auch über den Rhein durch Oberkassel und Lörick umfasst.
Überraschen kann die Entwicklung nicht. Düsseldorf will ein größeres Stück vom wachsenden Marathon-Kuchen abhaben. Die weltweiten Umsätze gehen in die Milliarden und können es selbst mit denen aus dem Fußball aufnehmen. Kaum eine Stadt, die etwas auf sich hält, verzichtet noch auf einen Marathon. Dafür werden teilweise große Stars eingeflogen, die für Aufmerksamkeit, Zuschauer und Sponsoren sorgen sollen. Auch in Düsseldorf starten international erfolgreiche Läufer, die Namen werden am Donnerstag bekanntgegeben.
Mindestens ebenso wichtig sind die vielen namenlosen Teilnehmer. Weil die zu Zehntausenden kommen. Beim berühmten New-York-Marathon kostet die Teilnahme in diesem Jahr mehr als 300 Euro, wer noch spontan am Sonntag in Düsseldorf laufen will, muss immerhin 95 Euro zahlen. Das hält die Wenigsten von der Teilnahme ab. Die Szene gilt als solvent.
Das nutzen Städte, Händler, Gastronomen, Reiseveranstalter, Sportartikelfirmen, Verlage und natürlich die Veranstalter — sie alle verdienen am Laufen, das selbst für viele Hobbysportler längst zum Lebensgefühl geworden ist. Mit Urlauben zu großen Events, Spezialliteratur, eigenen Messen und unzähligen Ausrüstungsgegenständen. In Deutschland soll die Gemeinde mittlerweile 23 Millionen Gläubige umfassen, die allein für ihre Schuhe jährlich mehr als 600 Millionen Euro ausgeben. Und mit denen ist es ja längst nicht getan. Nicht zufällig sind die Strecken der großen Events gesäumt von Verkaufsständen.
Da ist wenig Platz mehr für die alten Enthusiasten, die wie Jan Winschermann von den ersten City-Marathons infiziert worden waren — und eigene aus bescheidenen Ursprüngen mit viel Kreativität zu echten Events machten. Nun haben vielerorts große Agenturen die Organisation übernommen.
OB Erwin soll einst die Strecke skizziert haben
Winschermann hatte Anfang 2000 die Idee zu einem eigenen Marathon und besprach sie mit dem damaligen Oberbürgermeister Joachim Erwin (gestorben im Mai 2008). Als erstes steckte Erwin damals den Streckenplan von Winschermann in den Papierkorb, der wie beim ersten Marathon 1926 eine Wendestrecke am Rheinufer entlang nach Duisburg und zurück umfasste. „Wenn wir da lang laufen, merkt kein Mensch, dass wir in Düsseldorf einen Marathon haben“, sagte Erwin zum reichlich verdutzten Winschermann. Der Legende nach öffnete er seine Schreibtischschublade, holte einen Düsseldorfer Stadtplan heraus und skizzierte die heute noch gültige Strecke über 42,2 Kilometer.
2002 hatte nun auch Düsseldorf „seinen Marathon“, der mittlerweile nicht wegzudenken ist aus dem Sportkalender der Stadt. Auch wenn es manchem Autofahrer sauer aufstößt, dass derart viele Straßen gesperrt werden müssen. Der Erfolg gibt den Befürwortern dennoch recht: Die Teilnehmerzahl ist seit 2002 stets gestiegen, von damals 3000 auf mittlerweile fast 20 000. Jan Winschermann wird das dieses Mal nur als Zuschauer erleben.