Kolumne Stadt-Teilchen Oase Auf‘m Hennekamp in Düsseldorf - Dank an eine Unbekannte

Düsseldorf · Eigentlich ist an der Straße Auf’m Hennekamp in Düsseldorf nichts schön. Aber dann fand unser Autor doch etwas.

Umgeben von Tristesse, zähfließendem Verkehr, Oberleitungen und Schienen, leuchtet das Haus mit der Nummer vier in einem knalligen Rot. Eine Oase in der Verkehrswüste. Unser Autor bedankt sich dafür.

Foto: Hans Hoff

Es gibt nachweislich schönere Orte als jene, die sich entlang der Straße Auf‘m Hennekamp finden lassen. Diese Straße ist Teil des Lastrings, der in Bilk die B 326 und die B 8 durch die Stadt führt. Da reiht sich Lkw an Lkw, stauen sich die Autos ohne Ende, und das Wörtchen zähfließend klingt, als sei es just hier in der Rushhour erfunden worden. Dazu die Tristesse, die von einer ständig überlasteten Nutzstraße ausgeht. Oberleitungen, Schienen, raues Pflaster, alles da, was es zur gestandenen Hässlichkeit braucht. Hier möchte man nur eines: weg, denn nichts ist schön hier.

Nichts? Nun ja, nichts ist relativ. Denn es gibt da offenbar jemanden, der sich nicht abfinden mag mit dieser aus dem Pflaster quellenden ästhetischen Traurigkeit. Ich weiß nicht, ob es eine Frau oder ein Mann ist, der sich hier auflehnt. Ich nehme einfach mal an, dass es eine Frau ist, die hier die Initiative gegen das Unschöne anführt. Männern traue ich eher die Präferenz für Zweckmäßigkeit zu. Für Männer wie mich müssen Dinge funktionieren, dann sind sie mir oft genug. Frauen, zumindest jene, die in meinem überalterten Klischee-Kopf wohnen, begnügen sich nicht mit der puren Funktionalität. Sie wollen es auch schön haben.

Ich merke das daheim, wenn ich von des Tages Mühe wieder auftauche und mir in der Küche einen Kaffee mache und damit auf die Terrasse trete. „Und?“, fragt dann die Holdeste der Holden, und ich antwortete gewohnt tumb: „Wie, und?“ Ich werde dann noch einmal zurück in die Küche geschickt, um diese genau zu inspizieren. Erst dabei fällt mir auf, dass auf dem Küchenblock, also eigentlich unübersehbar im Zentrum der Küche, ein wunderschöner selbstgepflückter Strauß Blumen steht. Alles aus unserem Garten. Alles schön. Der Strauß duftet sogar, aber ich habe ihn trotzdem nicht gesehen, obwohl er die ganze Zeit in meinem Sichtfeld existierte. Nur in meiner Wahrnehmung existierte er eben nicht. Männer, oder besser gesagt, Wesen wie ich, wir sind so.

Ich gehe aus genau diesen Gründen davon aus, dass auch Auf‘m Hennekamp eine Frau am verschönernden Werk ist. Am Anfang der Straße, dort, wo die Kopernikusstraße den Verkehr über die Himmelgeister Straße spuckt und Auf‘m Hennekamp Krach und Stinkerei werden lässt, steht ein Haus, das sich abhebt von all den anderen am Lastring. Die Häuser drum herum sind alles Männerhäuser, zweckmäßige Bauten, die einzig dazu gemacht scheinen, im Einklang mit dem Verkehrsgebrüll, mit den Abgasen und Abrieben zu koexistieren. Nur da, wo die Nummer vier prangt, da ist ein Frauenhaus.

Möglicherweise liege ich mit dieser Theorie komplett falsch, und ich weiß auch, dass es sehr wünschenswert wäre, wenn ich nicht so sehr in Klischees dächte, aber es ist nun mal wie es ist, und die Welt ist doch immer auch das, was wir in ihr sehen wollen.

Gegenüber der Nummer vier liegt eine Tankstelle, die vor allem zweckmäßig ist. Sie ist erdacht worden zum Zwecke, nützlich zu sein, Autos mit Kraftstoff zu versorgen. Die Autos fahren auf der einen Seite rein, stoppen, tanken, und dann fahren sie weg. Städtische Transferzone in Reinform. Allenfalls in der Nacht, wenn die Tankstelle schön gelb leuchtet, kann man ihr eine gewisse positive Ästhetik unterstellen. Aber tagsüber? Da ist sie das optische Grauen.

Ganz im Gegensatz zur Nummer vier. Die Nummer vier, das Frauenhaus, fällt schon auf, weil es nicht wie die anderen Häuser drum herum, in einer Farbe gestrichen ist, die früher vielleicht mal als hellblau oder als Eierschale durchgegangen sein mag, die inzwischen aber mutiert ist zu schmutziggrau. Nicht so die Vier. Die Vier ist rot. Fast könnte man sagen frisch knallrot. Mit einem Schuss rosa vielleicht. Auf jeden Fall wirkt die Farbe hier wie ein aufmunternder Gruß an alle Passanten, wie ein putziger Aufheller für die kleine Großstadtdepression zwischendurch.

Aber es ist nicht nur die Farbe, die Hausnummer vier hervorhebt. Es sind die Blumen. Es ist die Pracht, die diese ausstrahlen. Aus den drei mittleren Fenstern, ich nehme mal an, es sind jene, die zum Treppenhaus gehören, quellen wirklich Blumen. Ein grüner Busch ist dort jeweils installiert, und aus dem sprießen Blumen, die ich nicht identifizieren kann, die aber wunderbar rot sind und mir zuzuwinken scheinen, wann immer ich dort lang muss. Es gibt nicht viele Häuser entlang des Lastrings, die sich die Mühe machen, sich derart aufzuhübschen. Die Vier gehört definitiv zu den Spitzenreitern.

Die Blumen dort sprechen mit mir, keine Frage. Doch, sie tun das. Sie senden mir eine Botschaft. Sie sagen, dass man sich nicht aufgeben darf, auch wenn man am Lastring existieren muss, an einem Unort, der furchtbarer nicht sein könnte. Diese Blumen sind quasi das kleine gallische Dorf, das sich Auf‘m Hennekamp wehrt gegen die Übermacht der römischen Besatzungstruppen. Diese Blumen bekommen jeden Tag den Zaubertrank von einer guten Seele, denn nur dadurch können sie an diesem komplett dumpfen Ort solch eine Wirkung entfalten.

Ich möchte mich daher ausdrücklich bedanken bei jenen Menschen, die diese Blumen angepflanzt haben, die diese Blumen pflegen. Sie helfen mir durch den Tag, sie lassen mich annehmen, dass nicht die ganze Welt männlich nützlich ist, dass es da noch Nischen gibt, in denen sich das Schöne unbeeindruckt zeigt von der sie umgebenden Tristesse. Diese Blumen sind die Oase in der Verkehrswüste, ein beeindruckender Beitrag zu „Unser Düsseldorf soll schöner werden“, der Kühlschrank in der Hölle. Danke dafür.