Orchester-Glanz und pianistisches Blendwerk

Daniil Trifonov spielte mit dem London Philharmonic — und versuchte zuweilen zu viel.

Großes Kino in der Tonhalle: Der mehrfach preisgekrönte junge russische Pianist Daniil Trifonov und das weltberühmte London Philharmonic Orchestra unter der Leitung des Chefdirigenten führen den Tophit unter den Klavierkonzerten auf, das Erste von Peter Iljitsch Tschaikowsky. Das Werk ist ein romantischer Rausch zwischen wunderbaren Melodien, hoher Virtuosität und mächtigem Pathos.

Praktisch alle großen Pianisten haben das Konzert gespielt, davon zeugen zum Beispiel die unzähligen Studioaufnahmen und Livemitschnitte, die von dem Opus existieren. Allein die legendäre Martha Argerich hat es dreimal grandios eingespielt. Darum liegt die Messlatte sehr hoch. Auch Trifonov hat bereits eine CD von Tschaikowskys b-Moll-Konzert vorgelegt. Mittlerweile ist der aus Nischni Nowgorod stammende Musiker 27 Jahre alt und dem Wunderkind-Status entwachsen. Doch trotz des weit überdurchschnittlichen Talents und der Zusammenarbeit mit den wichtigsten Musikgrößen des heutigen Klassikbetriebs fehlt es Trifonovs Spiel an Reife.

Der Pianist spielt zupackend und technisch versiert, einfallsreich und fantasievoll. Doch er nimmt sich dabei auch viel heraus. Das Maß an künstlerischer Freiheit bei der Darbietung klassischer Musik ist gering — Trifonov scheint das nicht so eng zu sehen. Tempoanweisungen legt er großzügig aus: Er dehnt die Zeit manchmal sehr stark. Das wirkt zwar zunächst sehr majestätisch, führt aber dazu, dass sich einige Stellen wie Kaugummi ziehen. Trifonov will das Werk offenbar formen wie Wachs. Dirigent Jurowski lässt ihn auch gewähren. In den Solo-Kadenzen bleibt ohnehin mehr Raum für Tempo-Experimente als während der strengeren Verzahnung mit dem Orchester. In den solistischen Passagen zeigt sich, dass Trifonov viel gestalten will. Das wäre auch schön, wenn sich nur nicht der Beiklang von Allmachtsfantasie hinein mischen würde.

Neben dem pianistischen Blendwerk gibt es aber auch sehr eindrucksvolle, spielerisch elegante Momente etwa im lyrischen Mittelsatz oder beim rasanten Finale. Ja, wenn Trifonov pianistisch gefordert ist, vermag er zu liefern. Das Publikum klatscht begeistert Beifall und es gibt eine Zugabe: den tänzerischen Mittelsatz aus Sergej Prokofjews Achter Klaviersonate.

Das Programm ist rein russisch. Nach der Pause gibt es Strawinsky, aber nicht den ganz modernen, sondern eine Reminiszenz an Tschaikowsky: „Der Kuss der Fee“. Die Ballettmusik für Orchester ist gespickt von Anspielungen auf den großen Romantiker, auch Zitate kommen vor. In diesem Opus, in dem viel Zauberei musikalisch illustriert wird, hat das London Philharmonic seinen besonders großen Auftritt. Abgesehen von einigen Kieksern des Solo-Horns gibt es viele Glanzleistungen, etwa von der Solo-Cellistin. Abermals brandet starker Beifall aus, und auch das Orchester kredenzt eine Zugabe, diesmal wieder Tschaikowsky im Original: einen Tanz aus dem Ballett „Schwanensee“.