Düsseldorf Paartherapeutin: „Ich muss anfangen, in dunkle Ecken zu schauen“

Stefanie Leers ist Paartherapeutin, in ihrer Praxis packen die Menschen aus. Ein Gespräch über Liebe und Wegwerf-Gesellschaft.

Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. Ihre Internetseite heißt „Seele sortieren“, und das hat seinen Grund: Stefanie Leers räumt gerne ordentlich auf, wenn sich Paare mit ihren Problemen an sie wenden. Ob eine Krise nach 30 Jahren Ehe, Sexsucht oder die unglückliche Suche nach der romantischen Liebe — in der Korschenbroicher Praxis der Paartherapeutin packen die Menschen aus. „Beziehungsweise — Ehe und Partnerschaft“ lautet der Titel des nächsten Bürger-Dinners von WZ und Düsseldorfer Schauspielhaus. Stefanie Leers ist am 6. Dezember, von 19 bis 21 Uhr, eine der Tischrednerinnen im Zakk an der Fichtenstraße.

70 Jahre sind Queen Elisabeth und Prinz Philipp verheiratet. Wenn man das schaffen will, was braucht es: Glück, Geduld oder eine ausreichende Menge Gin?

Stefanie Leers: Es braucht die vier „Vs“: vertrauen, verzeihen, verstehen und verzichten.

Was bedeutet das?

Leers: Vertrauen heißt, daran zu glauben, dass es weitergeht auch in schwierigen Zeiten. Mit verzichten ist gemeint, nicht zu verlangen, dass die eigenen Bedürfnisse immer von dem anderen gestillt werden. Verzeihen hat etwas damit zu tun, dass ich mir auch selbst verzeihe, dass ich nicht immer für den Partner da sein kann. Und das auch dem Partner zu verzeihen.

Zählt dazu der Seitensprung?

Leers: Auch. Das muss man aber nicht unbedingt verzeihen. Jeder hat ja sein eigenes Bild von Beziehungen und Werten. Wenn man sich in Partnerschaften mal in jemand anderes verliebt, geht es darum, das wahrzunehmen, aber nicht unbedingt es auszuleben. Es kann ein vorübergehender Prozess sein. Verliebtsein ist ein flüchtiges Gefühl, aber die Liebe und die Entscheidung für eine Beziehung hat länger Bestand.

Bedeutet verstehen, miteinander im Gespräch zu bleiben?

Leers: Das ist sehr komplex. Ich muss begreifen, was es heißt, den anderen wahrzunehmen. Wahrnehmung bedeutet, die Wahrheit des anderen zu nehmen. Wir sehen ja häufig nur das, womit wir selbst beschäftigt sind. Dafür muss ich erstmal mich selbst wahrnehmen und selbst lieben.

Selbstliebe, das klingt ziemlich abstrakt.

Leers: Selbstliebe ist eben diese Selbstwahrnehmung. Denn so komme ich auch zu den Anteilen an mir, die nicht so toll sind. Wenn ich anfange, in diese dunklen Ecken zu schauen, dann merke ich, dass ich der 70-Prozent-Mann oder die 70-Prozent-Frau bin. Und ich kann diese Fehler auch dem anderen verzeihen.

Wofür brauchen die Menschen Partnerschaften?

Leers: Neben der rechtlichen Absicherung etwa in einer Ehe geht es ja schon auch darum, wie sehr will ich mich binden und für wie lange will ich mich binden. Das hängt davon ab, welche Hintergründe dieser Bindungswunsch hat. Sind es meine Wertevorstellungen, will ich eine Familie gründen? Das wird oft am Anfang einer Beziehung austariert.

Das funktioniert offensichtlich nicht mehr so gut. Die Scheidungsraten sind hoch.

Leers: Da muss man sich die Geschichte der Institution Ehe mal anschauen. Man hat mit ihr Höfe und Königreiche verbunden oder eine wirtschaftliche Absicherung erreicht. Das gilt heute nicht mehr. Wir sind unabhängiger geworden. Viele Ehen habe ja gerade wegen der finanziellen Versorgung gehalten.

Aber auch die Einstellung zur Partnerschaft hat sich geändert, oder?

Leers: Wir sind ja schon auch eine Wegwerfgesellschaft geworden. Warum sich auseinandersetzen mit dem langjährigen Partner, wenn es so attraktiv ist, über eine Partnerbörse ganz schnell jemand neues zu finden? Wer repariert schon sein Radio, wenn er für 100 Euro ein neues bekommt?

Was macht denn den Wert einer langjährigen Beziehung aus?

Leers: Wenn man beispielsweise 30 Jahre gemeinsam verbracht hat — das ist länger als die Zeit in der Herkunftsfamilie —, dann ist das mit viel Geschichte verbunden. Man hat ein Haus zusammen gebaut, Urlaube verbracht, Kinder großgezogen. Das bildet Identität und fällt weg, wenn man sich trennt. Man weiß gar nicht mehr, wer man ist.

Wie funktioniert Ihre Paartherapie?

Leers: Meine Aufgabe ist nicht, eine Ehe oder Beziehung zu retten. Die Paare sagen, was sie möchten. Am wichtigsten ist dabei, den emotionalen Kontakt wiederherzustellen. Wenn man längere Zeit zusammen ist, dann passiert ganz viel im Außen. Berufliche Veränderungen, Kinder kommen zur Welt. Das führt oft auch dazu, dass Sexualität ausbleibt.

Im Alltag geht es ja häufig um banale Dinge wie offen gelassene Zahnpastatuben oder Eigenheiten des anderen, die man nicht mehr erträgt.

Leers: Diese Dinge stehen für etwas anderes. In der Therapie suche ich nach Überschriften. Man muss zu den Gefühlen kommen, die hinter einem Streit liegen. Etwa: Ich bin enttäuscht, dass ich das Haus alleine finanzieren muss. Oder: Ich bin enttäuscht, dass du so wenig Zeit für mich hast. Die Zahnpastatube ist nur eine Nebelbombe.

Wie kommt man dahin?

Leers: Als Hausaufgabe müssen die Paare in so genannten Zwiegesprächen sich wahrnehmen lernen. Sie hören dem anderen jeweils fünf Minuten zu, dann wird gewechselt. So kann ein Verständnis und emotionaler Kontakt wiederhergestellt werden.