Phantombilder: Frank Sippli gibt dem Verbrechen ein Gesicht
Frank Sippli gibt mit moderner Technik und der Erinnerung von Zeugen unbekannten Tätern ein Gesicht.
Düsseldorf. Das Böse hat nicht nur ein Gesicht, es hat ziemlich genau 5500. Zumindest in der Datenbank von Frank Sippli. Dort sind Verbrechergesichter fein säuberlich nach Kategorien wie Brille, Herpes, Pickel, Narben, Pflaster, Drogenabhängige oder Bärte sortiert. „Allerdings sind das nicht die Gesichter von echten Verbrechern“, sagt Sippli. Aus Datenschutzgründen wurden die Porträts in mindestens drei Merkmalen entscheidend verändert. Erst dann darf Sippli sie als Vorlage benutzen. Denn der Kriminalhauptkommissar ist Phantombildersteller.
Zusammen mit seinen drei Kollegen beim Landeskriminalamt an der Völklinger Straße ist Frank Sippli für die visuellen Fahndungshilfen — so heißen Phantombilder im Behördendeutsch — für ganz Nordrhein-Westfalen zuständig. „Wir haben etwa 400 Einsätze im Jahr und erstellen dabei plusminus 500 Bilder“, sagt Sippli. Vier aktuelle Beispiele stehen unten auf dieser Seite.
Bemerkenswert: Sippli kann gar nicht zeichnen. Muss er aber auch nicht, denn schon als er 1991 in der Phantombild-Abteilung anfing, gab es eine andere Technik: „Wir hatten eine Krabbelkiste mit hunderten Variationen von Augen, Mündern, Nasen, Haaren oder Bärten.“ Die wurden dann mit dem Zeugen zu einem Gesicht zusammengesetzt. Seit etwa neun Jahren arbeitet die Polizei mit dem Bildbearbeitungsprogramm Photoshop — aus tausenden Vorlagen können die Gesichterteile zu einem Porträt komponiert werden.
Bis das fertig ist, verbringt Sippli nicht selten bis zu drei intensive Stunden mit den Zeugen. „Pro Phantombild sind etwa 30 Arbeitsschritte nötig.“ Da werden Nasen dicker, Augenbrauen dünner, Ohren abstehender gemacht — und manchmal tauscht Sippli auch eine komplette Frisur aus.
Dabei ist die Beherrschung der Software gar nicht die große Herausforderung für den Kriminalhauptkommissar. „Die Technik und ihre Beherrschung machen vielleicht 30 Prozent des Jobs aus“, sagt Sippli. Der schwierigste Teil seiner Arbeit liege darin, mit Opfern und Zeugen von Verbrechen direkt zu kommunizieren. „Da kann es sein, dass man in einer Woche mit einem sexuell missbrauchten Kind, einem Bankdirektor, einer Prostituierten, einem traumatisierten Vergewaltigungsopfer und einer überfallenen Oma am Schreibtisch sitzt.“
Sippli muss sich auf alle einlassen, Tränen, Wut und Schockzustände seiner Hinweisgeber verarbeiten können. Er und seine Kollegen werden deshalb regelmäßig psychologisch geschult. „Ich kann gut abschalten, der Job verfolgt mich nicht bis nach Hause“, sagt Sippli. Seine Tochter habe freilich mal versucht, seine Fähigkeiten auszunutzen: Sie wollte als Teenager wissen, wie sie mit roten Haaren aussehen würde.
Gerade verpasst der Gesichter-Monteur einem Mann einen bedrohlich starren Blick. Das sieht befremdlich aus — irgendwie nicht wie ein echtes Gesicht. Sippli klärt auf: „Ein Phantombild ist nie ein Passfoto. Es hat eher etwas von einer Karikatur.“ Herausragende Merkmale, die auffallen, werden noch weiter ausgearbeitet. „Am Ende ist wichtig, dass der Typ getroffen ist.“ Eben so, dass Tante Lieschen und der Nachbar sagen: „Moment mal, der sieht doch aus wie. . .“
Manchmal gehören auch Gegenstände zu einem Phantombild. Dann muss Sippli etwa einen Fahrradhelm oder Schmuck einbauen. Aber es gibt Grenzen: „Wenn ein Täter nur von der Seite gesehen wurde, können wir kein Bild erstellen.“ Dann vermittelt Sippli an einen Phantombildzeichner bei der Polizei in Köln. Zwar kann er auch ein Seitenprofil basteln, Vorlagen hat er dafür jedoch nicht.
Wenn Sippli und seine Kollegen keinen aktuellen Auftrag haben, basteln sie an neuen Vorlagen aus den Millionen Festnahme-Fotos der Polizei-Datenbank. Am Morgen hat Sippli den Bestand im Ordner „Schwarzafrikaner“ aufgestockt. Damit hat das Verbrechen wieder ein paar Gesichter mehr — zumindest in der digitalen Vorlage.