Plötzlich regnen Reisepässe vom Himmel
„Café Casablanca“: Die Situation heutiger Flüchtlinge wird im Theaterstück vor dem Hintergrund des Kultfilms thematisiert.
Düsseldorf. An der Bar sitzen Menschen, die ihre Heimat verloren haben. Künstler, Intellektuelle, Schauspieler … Sie sind auf der Flucht vor den Nazis, die Anfang der 1940er Jahre ganz Europa im Griff haben. An der Wand, in Lebensgröße, Bilder von Ingrid Bergman und Humphrey Bogart — die Kultstars, die dem Hollywood-Film ‚Casablanca’ von 1942 ihren unverwechselbaren Stempel aufgedrückt haben.
Szenen über politische Flüchtlingen, die alles tun würden, um an Visa in die USA zu kommen, und Menschen, die sich daran bereichern wollen, laufen auf einer Muschelleinwand. Ein Pianospieler thront davor und intoniert lässig „As time goes by“ — den schnurrigen Song, der durch den Casablanca-Film weltbekannt wurde. Viele Details der Szenerie in der Performance „Café Casablanca — Everybody comes to stay“ ist dem Film nachempfunden. Doch Nostalgie allein reicht der ‚Andcompany & Co’ nicht. Das Regieteam von Alexander Karschnia, Nicola Nord und Sascha Sulimma verbindet in seinem Lehrstück das Flüchtlingsschicksal der Nazizeit mit der Situation von Menschen auf der Flucht in unserer Zeit. Sicherlich ein ambitioniertes Projekt von Bürgerbühne und Jungem Schauspielhaus, dessen Uraufführung jetzt auf der Münsterstraße 446 gefeiert wurde. Profi-Schauspieler und Laien-Darsteller schlüpfen in zahlreiche Rollen, kündigen an, welchen Part sie übernehmen. Mal den eleganten Rick, alias Humphrey Bogart, mal Ilsa Lund, alias Ingrid Bergman, dann Victor Laszlo, Paul Henreid, Major Strasser.
Widerstandskämpfer, Taschendiebe, Schlepper oder Geheimdienstler. Sie reden, singen oder rennen durch die Kulisse. Man muss sich schon sehr gut auskennen in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und in der Personnage des berühmten Films, um die Dialogfetzen zu verstehen und zuordnen zu können. Ebenso sollte man die Hitler-Parodie von Charlie-Chaplin aus dem Film „The Dictator“ gesehen haben, da Chaplins berühmtes Balancieren mit der Weltkugel als Zwischenspiel eingeblendet wird.
Damit könnte junges Publikum schnell überfordert sein. Zumal die Verquickung mit den Flüchtlingen unserer Tage streckenweise bemüht wirkt. So, wenn Syrer (Laienschauspieler) einen Nazi spielen müssen. Deutlich werden zwar in dieser pausenlosen 80-Minuten-Collage die Ursachen für die damaligen Flüchtlingsbewegungen aus Europa in die USA durch das Tor zur Freiheit in Lissabon. Die portugiesische Hafenstadt erreichte man damals nur per Propellermaschine über das marokkanische Casablanca.
Ganz anders die Ströme der Flüchtlinge heute, die sich in die heute begehrten europäischen Staaten (damals gefürchteten) bewegen. Anschaulich gemacht durch eine Landkarte mit Pfeilen, die auf Fluchtbewegungen deuten. Immer wieder geht es um Hannah Arendt, Bertolt Brecht, um Visa, Aufenthaltsgenehmigungen, Stempel und EU-Reisepässe, die vom Himmel regnen.
Mit Heiterkeit, Ironie und Leichtigkeit bringen die Mimen solche Szenen als Parodie über die Rampe und brillieren in Verwandlungskunststücken. Anpassen oder Anderssein, Nazi oder Flüchtling. Fragen, die die Figuren nicht zur Ruhe kommen lassen. Doch sie gelangen zur frustrierenden Erkenntnis: Selbst wenn sie sich anpassen und eingliedern, werden sie bestenfalls als „Mitbürger mit Migrations-Hintergrund“ akzeptiert.
Solche Momente verfehlen ihre Wirkung nicht, auch nicht bei jüngeren Zuschauern. Insgesamt sind Dialoge und Mini-Szenen geschickt montiert, doch rückt das Berliner Theaterkollektiv stets sein politisches Engagement in den Vordergrund.