Publikum geht mit Dante durch die Hölle

„Die Göttliche Komödie“ im Schauspielhaus spielt nicht nur auf einer Bühne — sondern auf vielen. Die Zuschauer folgen den Schauspielern.

Foto: Thomas Rabsch

Düsseldorf. Wie sieht’s in der Hölle, wie im Paradies aus? Welches Schicksal ereilt die Menschen nach ihrem Tod? Wen treffen sie dort wieder? Die Fragen, die uns und unsere Vorfahren seit Jahrtausenden bewegen, führten auch im späten Mittelalter zu fantastischen Vorstellungen — so auch den italienischen Dichter Dante, der sich in seiner „Göttlichen Komödie“ auf die Reise ins Jenseits begibt.

Dieses Jahrtausendwerk, gleichzeitig Ansammlung des Wissens, das Gelehrten im Jahr 1300 zur Verfügung stand, setzt jetzt Johannes Schütz in Szene. Und zwar als eine Wanderung durch das Schauspielhaus, genauer: durch Teile der Baustelle am Gründgens-Platz: Geleitet von Dante und seinem Lehrmeister aus der Antike, Vergil, erleben Zuschauer die Qualen der Hölle und die Reinigung im Fegefeuer. Sie stehen, sitzen höchstens mal auf unbequemen Klappstühlen. Erst wenn sie nach zwei Stunden im Paradies ankommen — dort wo Dante seine geliebte Beatrice wiedersieht — können sie sich in den butterweichen Fauteuils des Kleinen Hauses niederlassen und staunen über ein rasantes Weltraum-Abenteuer.

Die mythologische Expedition durch die unterirdischen Geheimgänge des Theaterpalastes startet an den Notausgängen im Großen Haus. Geleitet von Helfern, die sich später in die Seelen namhafter Verstorbener verwandeln, gelangt man auf die kleine Probebühne. Hier ist der düstere Wald, in dem Wildtiere hinter Bäumen lauern, fauchen und aufheulen. Unvermittelt erscheint Dante Alighieri (Kilian Land): Er begegnet dem römischen Dichter Vergil (Andreas Grothgar). Als Gesandter von Beatrice, der Jugendliebe Dantes, lädt Vergil ihn ein — zur Reise durch die ewigen Jagdgründe.

Dann geht’s hinab in (dem Publikum sonst) verborgene Räume — in das Theatermagazin. In diesem riesigen Raum aus Beton und Stein mit mehreren Etagen, tief im Erd-Inneren, ist die Hölle beheimatet. „Hier geht’s zur Stadt der Schmerzen“ singen Chöre beim Eintritt ins Inferno und bieten süßlichen Sekt als Willkommenstrunk. Atmosphäre und Akustik gleichen einer Kathedrale des Bösen — und haben manch’ gruselige Überraschung parat. Regisseur und Bühnenbildner Schütz lässt uns in die Tiefen und die neun Kreise der Hölle schauen: geöffnete Kisten stehen dort, die sich als Gräber der Gelehrten der Antike entpuppen.

Während des Gangs durch das Inferno scheint Dante immer wieder aufgeregt und verwirrt, denn die Ungetauften, vor Christi Geburt Gestorbenen, müssen in ewig unerlöster Sehnsucht verharren. Der Zutritt zum reinigenden Fegefeuer und in den Himmel bleibt ihnen verwehrt. Selbst Semiramis, Dido und Helena. Hier schmort sogar auf einem Schrank Odysseus, der, anders als in der Überlieferung, in Flammen aufging. Ganz zu schweigen von Verrätern und Mördern, von denen Vergil erzählt. Am Ende darf Luzifer nicht fehlen: Ein dreiköpfiger Titan erscheint — natürlich nur als Projektion.

Im raumhohen Lastenaufzug geht’s dann ins Purgatorium oder Fegefeuer. Auf einer Seitenbühne nehmen Zuschauer und Darsteller Platz an einer ausladenden Tafel. Wein und Brot werden gereicht — ein Tableau entsteht, das an Renaissance-Gemälde von Jesus’ letztem Abendmahl erinnert. Die Gäste kauen und trinken, Dante wird in einem Traum von einer Sirene verführt — eifersüchtig beobachtet von Beatrice (Lieke Hoppe).

Als Figur in langem, rotem Gewand gewinnt sie jedoch erst klare Konturen, als Dante im Himmel (im Kleinen Haus) ankommt. Vor einem ewig kreisenden Mond mit wabernder Oberfläche (gezeigt durch raffinierte Effekte) wirft Beatrice Dante vor, dass er seine Liebe zu ihr nur in Gedichten beschwört, sonst aber ein lockeres Leben führt. Danach schweben die beiden durch den Kosmos. Der Dichter wird vom ewigen Licht geblendet, Beatrice entschwindet und Dante bleibt zurück. Mit vielen Fragen.

Und zu Ende geht eine bilderreiche, romantisch angehauchte und anregende Wanderung durch Leid und Freud, durch die ersten und letzten Fragen der Menschheit. Und durch Funktions-Räume, die Schütz durch spärliche Dekoration und fantastische Licht-Effekte in einen metaphysischen Kosmos verwandelt. Die größte Abwechslung und die stärksten Momente bietet die Hölle. Wen wundert’s?