Interview Rationales Handeln: Philosophin kommt bei Trump ins Grübeln
Susanne Hahn ist gerade für ihre Arbeit über rationales Handeln geehrt worden. Der neue US-Präsident beunruhigt sie.
Düsseldorf. Die Düsseldorfer Professorin Susanne Hahn ist mit dem höchstdotierten deutschen Preis für Philosophie ausgezeichnet. Mit 100.000 Euro ehrt die Max Uwe Redler Stiftung ihre Habilitationsschrift „Rationalität. Eine Kartierung“ als die „wohl gründlichste und präziseste Abhandlung zum Thema in der deutschsprachigen Philosophie der vergangenen Jahrzehnte“ — so heißt es in der Begründung.
Frau Hahn, was machen Sie mit den 100.000 Euro Preisgeld, wenn Sie rational entscheiden würden?
Susanne Hahn: Der Preis ist ja geteilt: 50.000 zur freien Verfügung und 50.000 zur Verbreitung des Werks. Wenn ich rational über die Summe zur freien Verfügung entscheiden würde, dann würde ich mir überlegen, was ich für Ziele verfolge und wie ich — unter Berücksichtigung verfügbaren Wissens — diese 50.000 Euro möglichst effizient für diese Ziele einsetzen könnte. Wenn ich vordringlich etwa das Ziel verfolge, in fortgeschrittenem Alter einigermaßen sorgenfrei leben zu können, würde ich — ganz langweilig — in meine Altersversorgung investieren.
Was wäre eine nicht rationale Entscheidung?
Hahn. Spontanes Handeln ist weder rational noch irrational. Nehmen wir an, ich würde heute von dem Preisgeld erfahren und hätte gestern einen begeisternden Bericht über Kuba gelesen. Wenn ich daraufhin gleich ins Reisebüro gehe und für mich und meinen Mann eine Kubareise buche, ist das ein spontanes Handeln.
Und wie entscheiden Sie?
Hahn: Nicht immer in gleicher Weise. Vermutlich entscheide ich auf einen Einzelfall bezogen oft rational. Häufig handle ich aber auch regelorientiert. Wenn ich ein Versprechen gegeben habe, löse ich das Versprechen ein — damit handle ich in Orientierung an der Regel, dass man seine Versprechen halten soll. Gelegentlich handle ich aber auch spontan, so etwa, wenn ich geplant hatte, noch drei Stunden am Schreibtisch zu arbeiten und mich stattdessen verplaudere, ohne darüber nachzudenken.
Es geht in Ihrer Arbeit um rationales Handeln und die Frage, ob man Empfehlungen daraus ableiten kann. Was fällt Ihnen bei Donald Trumps Verhalten ein?
Hahn: In meiner Arbeit unterscheide ich unterschiedliche Verständnisse rationalen Handelns. Allen gemeinsam ist, dass die Handelnden Zwecke verfolgen, wenn sie rational handeln. Wenn man also eine Handlung als rational oder irrational einsortieren will, muss man dem Handelnden Zwecke zuschreiben. Im Fall von Trump finde ich gerade das schwierig.
Welche Ziele verfolgt er?
Hahn: Nimmt man ihn beim Wort, nämlich bei der Parole „Amerika wieder groß zu machen“, dann wirft das nur weitere Fragen auf. Zufolge des verfügbaren wirtschaftswissenschaftlichen Kenntnisstandes führt eine interventionistische und protektionistische Wirtschaftspolitik nicht zu langfristigem wirtschaftlichen Erfolg. Ist Trump nun einfach anderer Auffassung, dann handelt er lediglich subjektiv rational, also rational nur bezogen auf seine irrige Auffassung. Vielleicht ist es aber auch so, dass sein Handeln gar nicht in die Kategorien von rational und irrational fällt. Möglicherweise ist sein Handeln affektuell oder emotional bestimmt, etwa durch die Emotion, anderen etwas beweisen zu wollen oder Kränkungen zurückzuzahlen. Das wäre beunruhigend, da man nicht weiß, welche emotionalen Reaktionen noch zu erwarten sind.
Was bringt es, wenn wir rationales Handeln erkennen?
Hahn: Wenn Sie auf das Handeln von Akteuren einwirken wollen, dann brauchen Sie eine Unterstellung, von welcher Art die Menschen sind. Wenn ein Unternehmen einen Verhaltenskodex einführen will, zum Beispiel zur Verhinderung von Korruption, dann sollte es wissen, wie die Mitarbeiter motiviert sind. Wenn man unterstellt, dass die Mitarbeiter alle zweckrationale einzelfallorientierte Agenten sind, würde man seine Verhaltensvorgaben machen und für Regelbrüche Sanktionen in Aussicht stellen. Wenn ich aber Mitarbeitern, die sich ohnehin an Regeln halten, ständig drohen würde, wirkt sich das häufig kontraproduktiv aus. Solche Personen fühlen sich falsch wahrgenommen.
Erkennen Sie, dass der Glaube an Regeln in der Gesellschaft abnimmt? Im Netz gehen die Menschen ja auf erschreckende Weise aufeinander los.
Hahn: Die Bedingung der Anonymität und virtuellen Identität im Netz bringt Veränderung mit sich. Wenn ich öffentlich für meine Äußerung einstehen muss, ist das anders, als wenn ich mich hinter einem Kunstnamen verbergen kann. Vielleicht ist es aber auch so, dass sich Normen für diese Art der Kommunikation erst noch herausbilden müssen. Vermutlich kann man die mittlerweile intensive Diskussion darüber ja auch so interpretieren, dass hier Normen im Entstehen sind.
Wie muss Gesellschaft darauf reagieren?
Hahn: Ich habe da kein Rezept, möchte mich aber zukünftig mehr damit befassen, welche Konsequenzen die immer größere Rolle des Internets für die Organisation unseres Staates hat. Die soziale Vernetzung von Menschen im Internet ist punktuell. Wir sind aber in unserer liberalen-demokratischen Ordnung darauf angewiesen, dass sich Leute bürgerschaftlich engagieren — in Parteien zum Beispiel. Dieses Eingehen dauerhafter Verpflichtungen sehe ich derzeit gefährdet.
Philosophen bieten also nur Erklärungsversuche.
Hahn: Die Philosophie gibt unter anderem Antworten auf die Frage, was eine korrekte Erklärung ist und unter welchen Bedingungen etwas als Erkenntnis gelten kann. Diese grundsätzlichen Antworten sind für alle Wissenschaften relevant. Wissenschaftler müssen bei der Vermittlung ihrer Aussagen klar machen, wie verlässlich sie sind. In der Klimaforschung etwa versehen die Forscher ihre Aussagen mit einem Gewissheitsstatus. Das ist vorbildlich. So kann man etwa Vermutungen von starken Behauptungen unterscheiden.