Schulgeschichte: Der doppelte Lessing
Am Lessing-Gymnasium rätselt das Kollegium, ob sein Namensgeber vielleicht ein anderer berühmter Lessing und nicht der Dichter war.
Düsseldorf. Das Lessing-Gymnasium feiert im nächsten Jahr sein hundertjähriges Bestehen. Das soll eine Riesensache werden, weswegen der Schulleitung eigens ein Festkomitee mit den Planungen betraut hat.
Ins Grübeln geriet Direktor Horst Langhoop jedoch, als kürzlich eine Kollegin bei einer der Sitzungen davor warnte, bei den Feierlichkeiten zu viel Aufhebens um den Namensgeber der Schule zu machen.
Ihr waren nach der Lektüre eines gerade erschienenen Buches über Düsseldorf und Lessing erhebliche Zweifel gekommen, ob das Gymnasium tatsächlich nach dem Dichter Gotthold Ephraim Lessing (siehe Kasten) heißt.
Die Irritation der Frau ist verständlich. In unmittelbarer Nähe der Schule befinden sich Lessing-Platz und Lessingstraße, und die sind nach einem gewissen Carl Friedrich Lessing und nicht nach Gotthold Ephraim benannt.
Laut Hermann Kleinfeld, Verfasser des Buches "Düsseldorfs Straßen und ihre Benennung", kam Carl Friedrich im Jahr 1826 als Schüler Wilhelm von Schadows nach Düsseldorf und war einer der Begründer der Düsseldorfer Malerschule. Bekannt und begabt genug war der Landschaftsmaler allemal, um als Vorbild und Namenspatron herzuhalten.
"Mir ist das alles völlig neu", sagt Schulleiter Horst Langhoop. Dem Hinweis der Kollegin habe er noch nicht nachgehen können, wolle dies jedoch nach den Herbstferien umgehend nachholen. "Wir werden das auf jeden Fall recherchieren."
Nicht zum ersten Mal stellen sich Lehrer des Oberbilker Gymnasiums die Frage, ob man die Büste im Eingangsbereich wirklich dem richtigen Lessing gewidmet hat. Die Bronzeplastik von Marianne Kiesselbach zeigt Gotthold Ephraim Lessing, und darüber hatte sich viele Jahre lang vor allem Gerd Trost gefreut.
Der ehemalige und inzwischen verstorbene Direktor der Schule verehrte den Aufklärer und Philosophen Lessing und sprach in einem WZ-Artikel von einer "Fügung des Schicksals", dass er ausgerechnet am Lessing-Gymnasium, an welchem er auch schon sein Abitur gemacht hatte, sein gesamtes Lehrerleben verbrachte.
Ausgerechnet Trost soll es gewesen sein, den bei seinen Recherchen zu einer Festschrift anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Schule plötzlich Zweifel überkamen, welcher Lessing nun der richtige sei: seiner oder aber der Namensgeber vom benachbarten Lessingplatz? Wolfgang Scheffler, Schulausschussvorsitzender und selbst Lehrer am Lessing-Gymnasium, erinnert sich: "Das wurde damals im Kollegium diskutiert, blieb aber ohne Folgen."
Die Zurückhaltung spiegelt sich in der Schulhistorie wieder. Auf der Homepage ist zwar davon die Rede, dass seit 11. Mai 1913 der Name Lessings die Schule schmücke. Um welchen Lessing es sich handelt, wird jedoch nicht näher beleuchtet.
Dokumentiert ist hingegen die Erwähnung des Dichters in Zusammenhang mit der Schule in der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen. In dieser Chronik heißt es anlässlich der Einweihung des Neubaus an der Ellerstraße (wo sich die Schule bis heute befindet) am 16. September1913: "Im Mittelpunkt der Feier stand Lessing, der große Wahrheitssucher, dessen Namen die Schule nunmehr tragen durfte; Oehler (damals Oberbürgermeister, Anmerkung der Redaktion) sprach den Wunsch aus, daß es der Anstalt gelingen möge sich an Lessing auszurichten und die Jugend in seinem Geist zu selbständige Denken zu erziehen."
Der Name "Lessing-Realschule", als welche das heutige Gymnasium begonnen hat, geht laut Festschrift auf den Vorschlag eines gewissen "Oberlehrers Schmitz" zurück. Dessen Kollegen stimmten am 20. Januar1913 gemäß Konferenzbeschluss zu. Ob sie dabei an Gotthold Ephraim oder aber Carl Friedrich dachten, sagt die Chronik nicht. Ein Protokoll von der entscheidenden Sitzung des Kollegiums wird jetzt gesucht. "Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass der Dichter gemeint war", sagt Benedikt Mauer, stellvertretender Leiter des Stadtarchivs. "Das passt zum Bildungsbegriff des frühen 20. Jahrhunderts."
Ein kleiner Trost für das verunsicherte Kollegium des Lessing-Gymnasiums könnte sein, dass es sich bei Carl Friedrich um den Neffen des Schriftstellers Gotthold Ephraim Lessings handelt. Namensgeber hin oder her - es bleibt alles in der Familie.