Sie tanzen wie Hochleistungssportler
Nathalie Schulze und René Quandt treten bei 15 Turnieren im Jahr an — neben den Auftritten im Karneval.
Düsseldorf. Eine Dunstwolke aus Haarspray und Deodorant legt sich wie ein Film auf den beleuchteten Spiegel. Nathalie Schulze zieht noch einmal gekonnt den Lidstrich ihrer großen Augen nach, während Mutter Margitta ihrem Partner René umständlich versucht, einen blau-weiß gefederten Hut im stoppel-kurzen Haar zu befestigen. Um sie herum herrscht geschäftiges Treiben im Umkleideraum: Halbumgezogene Mädchen wühlen sich durch Klamottenberge aus Strumpfhosen, Haarteilen und Röckchen. Fetzen vom Karnevalsklamauk schwappen aus dem Obergeschoss herunter.
„Ihr müsst euch jetzt umziehen. Es geht gleich nach oben,“ ruft Margitta ihrer 17-jährigen Tochter zu. Nathalie Schulze und René Quandt sind das Tanzpaar der Prinzengarde Blau-Weiss Düsseldorf und ihr Auftritt in der Rheinterrasse beim „Modetee des Amazonenkorps“ steht unmittelbar bevor. „Das Tanzen hat bei uns Familientradition“, erklärt Nathalie mit einem Seitenblick auf ihre Mutter, die gerade ihre Haare zu Zöpfen flicht. „Meine Mutter war schon Tanzmarie bei der Prinzengarde und meine große Schwester ebenfalls. Sie hat das Amt sozusagen vor drei Jahren an mich weitergereicht.“
Schon im zarten Alter von fünf Jahren fing Nathalie an und seitdem hat sie die Leidenschaft nicht mehr losgelassen. „Man muss natürlich auch den Karneval lieben, sonst kann man das alles nicht durchhalten,“ fügt sie lachend hinzu.
Im „wahren“ Leben macht Nathalie eine Ausbildung zur Bürokauffrau. Bodenständig. Auch für René ist das Tanzen wie eine Sucht — und es liegt ebenso in der Familie. Der 25-jährige Lagerist stand mit 13 Jahren das erste Mal auf der Bühne. „Ich habe auch andere Sachen wie Fußball ausprobiert. Aber das hat mir nie gefallen. Meine große Schwester, auch Tanzmarie, hat mich zum Tanzen gebracht.“
Seit einem Jahr treten René und Nathalie als Paar auf. Kennengelernt haben sie sich auf einem Turnier für karnevalistischen Tanz. „Vom Bund Deutscher Karneval werden bundesweit Turniere ausgerichtet. Es gibt auch eine deutsche Meisterschaft“, erklärt Mutter Margitta Schulze nicht ohne Stolz. Der BDK bezeichne es auch als „karnevalistischen Leistungstanz“. Auf rund 15 Turnieren pro Jahr — die auch neben der regulären Karnevalssaison stattfinden — treten Nathalie und René an. Das erfordert viel Aufwand. „Wir trainieren zwei bis drei Mal die Woche,“ berichtet Nathalie. Mutter Margitta bekräftigt mit einem leicht gequälten Lächeln: „Es ist schon stressig. Seit 20 Jahren fahre ich durch die Gegend. Erst mit der einen, dann mit der anderen Tochter. Aber das ist es wert.“
Nathalie Schulze und René Quandt, Tanzpaar Prinzengarde Blau-Weiss
Mittlerweile sind die Beiden ein eingespieltes Team. Routiniert platzieren sie sich auf dem kalten Fußboden des Foyers — inmitten ziellos umherstreunender Jecken — um sich aufzuwärmen. Dann geht alles ganz schnell, rein in den Spagat und das Bein hoch an den Kopf geschleudert. „Man muss die Bewegungen wirklich verinnerlichen. Deswegen üben wir eine Saison lang den gleichen Tanz,“ erläutert Nathalie, während sie beiläufig ihren gestreckten Fuß ans Ohr drückt.
Körperliche Probleme haben sie keine, nur ein bisschen Muskelkater sei normal. Dann geht es los. Ein Haufen uniformierter Leute in Blau-Weiss mit gefederten Hüten wartet am Aufgang der Treppe, drängt sich im Foyer zusammen. Bläser, Tanzgarde und natürlich Nathalie und René. Es ist eng und warm. Karnevalsmusik und etliche Tuschs dröhnen schon aus dem Veranstaltungsraum herüber. Der Corps marschiert ein, Nathalie auf Renés Schultern stehend. Auf der großen Bühne beginnt die Show. Und wieder heißt es: Hoch das Bein, bis an den Kopf. Das Publikum tobt.
Nathalie und René sind in ihrem Element, strahlen und lachen trotz schwieriger Hebungen und irrsinniger Verrenkungen. Den klitzekleinen Ausrutscher nach einer Hebung scheint niemand bemerkt zu haben; er wird mit guter Laune einfach weggeputzt. „Der Applaus entlohnt jedes Mal für alle Strapazen,“ keuchen beide nach dem Auftritt hinter der Bühne. Sie sehen erschöpft aus. Aber sehr zufrieden.