Stadt-Teilchen Man ist sehr allein hier, am Wasser, on the Dock of the Bay
Sich wie ein Leuchtturm oder Musiker Otis Redding fühlen: Das geht ganz einfach in Hafennähe.
Düsseldorf. Dieser Text ist an einem sehr besonderen Ort entstanden. Nicht irgendwo in einem Café, nicht irgendwo auf einer Bank, sondern mitten im Rhein. Also fast mitten im Rhein. Dort, wo sich fette Felsen ganz weit in den Fluss schieben und den Hauptstrom von der Hafeneinfahrt trennen. Links Rhein, rechts Rhein und vor mir Rhein.
Ich sehe, während ich dies verfasse, die Schiffe kommen und gehen. Die einen schnaufen schwer den Rhein hinauf. Natürlich schnaufen sie nicht wirklich. Aber ich möchte halt, dass sie schnaufen wie in seligen Dampfschifffahrtszeiten. Von Heerdt her rauschen dagegen die Bergabfahrer heran. Sie driften elegant und mit viel Schwung gen Altstadt und dann ab nach Holland. Ich sehe das, denn ich bin der Leuchtturmwärter.
Wie oft habe ich schon auf der Fußgängerbrücke über der Hafeneinfahrt gestanden und diesen Leuchtturm interessiert gemustert. Wie er da so steht, so schlank, so unerschütterlich, so einsam. Er zeigt mit seinem Licht an, dass man hier ein bisschen aufpassen muss. Er lenkt die Fahrt der Schiffe. Ein bisschen wenigstens.
Tagsüber wirkt er allerdings verlassen, dieser Minileuchtturm. Da ist er einfach ein rot-weißer Mast mit ein paar Lampen dran. Aber das macht mir nichts, denn wenn ich hier sitze auf den veralgten Steinen, dann bin ich trotzdem der Leuchtturmwärter. Ein bisschen jedenfalls.
Am meisten bin ich aber Otis Redding. Genau, der Otis Redding, der Soulsänger, der vor über 50 Jahren besang, dass er immer an einem bestimmten Ort am Wasser sitzt. „Dock Of The Bay“ heißt der Song, den Redding 1967 aufnahm, kurz bevor er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, und jedes Mal, wenn ich über die Hafenbrücke gehe und auf diese kleine Leuchtturmmole schaue, habe ich diesen Song im Ohr.
Ich höre, wie Otis Redding da sitzt und seine Einsamkeit besingt. Wie ihn die Morgensonne wärmt, wie er die Sonne untergehen sieht. Er beobachtet die Schiffe, wie sie einfahren und wieder ausfahren. Und jetzt bin ich Otis Redding. Ganz vorne auf der Hafenmole, da, wo man nur schwer hinkommt, weil man sich durch viel Gestrüpp und noch mehr Picknicker-Müll und dann auch noch über etliche Steine kämpfen muss.
Es macht mir nichts aus, dass das Lied eigentlich in San Francisco spielt. Die Emotionen, die Musik auslöst, kümmern sich nicht um Orte, die lassen Gefühle reisen. Heute Frisco, morgen Düsseldorf-Hafen. Mit Blick auf die Kniebrücke, die wie ein Lineal über der Altstadtkulisse liegt und den Himmel teilt. Nur ein paar Dächer schaffen es über das Lineal, und natürlich das Dreischeibenhochhaus und das Mannesmannhochhaus.
Ich sitzte hier und ruhe meine Knochen aus, aber diese Einsamkeit will mich nicht in Ruhe lassen. Singt Redding. Fühle ich auch gerade. Man ist sehr allein hier on the Dock of the Bay. Ich habe Zeit, dem Wasser beim Kräuseln zuzuschauen. Und natürlich den Schiffen beim Schnaufen. Gerade kommt wieder solch ein fetter Kahn den wässrigen Berg hinauf, und ich meine, ich höre ihn schnaufen. Aber vielleicht ist es auch nur das Rauschen der Wellen, das mich vom Schnaufen träumen lässt.
Schiffe, die flussaufwärts fahren, sind keine Gefahr für mich. Bei herabdonnernden Schubeinheiten muss ich schon mal Vorsicht walten lassen, auf dass meine Füße trocken bleiben. Dann wird aus dem Kräuseln ein heftiges Schwappen. Besser, ich ziehe ein paar Steine höher. Näher an den Leuchtturm.
Ein Schiff kommt sehr nahe. Es ist das regelmäßig verkehrende Ausflugsschiff, die Heinrich Heine, die den Dichter auf den Felsen passiert und genau auf seiner Höhe Fahrt wegnimmt, um sanft in den Hafen zu schweben. Für einen Moment überlege ich, ob ich immer noch Otis Redding bin oder vielleicht doch eher Heinrich Heine, Heine on the Rocks.
Aber dann ist die Heinrich Heine weg, und ich bin wieder Otis Redding. Dann sieht es aus, als ändere sich nichts. Alles bleibt wie es ist, also bleib’ auch ich wie ich bin, heißt es sinngemäß im Lied. Es ist einfach, an dieser Stelle zu bleiben wie man ist, weil hier alles Gleichförmigkeit atmet. Die Luft, das Wasser, die Schiffe, die Skyline. Sehr beruhigend.
Ich fühle mich umschlossen vom Nass, sehe Düsseldorf von seiner feuchten Seite. Uh, schon wieder ein Schubverband. Besser noch zwei Steine höher ziehen. Ganz schön frech, dieser Rhein. Ich schaue ihm zu, wie er fließt. Einfach so, immer weiter und weiter und weiter.
Und ich sitze hier und bin mir sicher: „Dock of the Bay“ spielt in Düsseldorf. Ich habe um ihn herum mein eigenes kleines Schauspiel, inszeniert vom allmächtigen Vater Rhein. Ich mag das, wenn meine Phantasie einen Ort findet, wo sie all die Songs platzieren kann, die schon ewig und drei Tage in meinem Herzen wohnen. „Dock of the Bay“ spielt jetzt an der Hafeneinfahrt. Und wenn Sie demnächst mal über die Kniebrücke gehen und einen kleinen Punkt am Leuchtturm sehen, das könnte ich sein. On the Dock of the Bay.