Stadt-Teilchen Die Merowingerstraße — sonst ist hier Leben im Durchzug

Düsseldorf · Früher kursierte unter großstadtgenervten Träumern die Illusion, dass unter dem Pflaster womöglich der Strand liege. Das stimmte nie, und auch die Sache mit den Blumen, die angeblich aus dem Asphalt heraus blühen, entpuppte sich rasch als von der Realität kaum berührter Wunschgedanke.

Foto: Melanie Zanin

Dass da aber trotzdem etwas ist unter der Oberfläche, etwas Geheimes, etwas Besonderes, kann man derzeit sehr schön an der Merowingerstraße in Bilk sehen, die gerade komplett umgekrempelt wird, was für erkleckliche Unbequemlichkeit bei Pendlern sorgt.

Foto: Melanie Zanin

Dort offenbart sich, dass die glatte Oberschicht getragen wurde von einer sehr robusten Unterschicht. Letztere besteht aus lauter Kopfsteinen, die gemeinsam den Unterbau bilden und früher Straßenstandard waren. Da rappelte es ordentlich, da waren Straßen laut, weil alles holperte. Ich habe lange überlegt, ob ich die Merowingerstraße jemals erlebt habe mit ihrem Kopfsteinpflaster, aber in meinem Gedächtnis ist diesbezüglich keinerlei Erkenntnis zu finden.

Für mich war die Merowingerstraße immer schon gesichtsloses Gelände, ein Transferraum, an dessen Beginn man „Augen zu und durch“ dachte und dann eintauchte in eine der unschönsten Straßen Düsseldorfs. Zumindest auf dem Stück zwischen Bilker Bahnhof und Suitbertusstraße, das gerade die Bagger unter die Schaufel nehmen und entkernen, entzieht sich dieser öffentliche Raum gerne jeglicher ästhetischer Bewertung. Hier ist man nicht, hier muss man durch.

Das Durchkommen ist jetzt arg verlangsamt, weil die Autos nur einspurig von Süden nach Norden dürfen. Wer aus der Stadt raus will, muss Umwege fahren. Das nervt, ist aber unumgänglich, weil notwendiger Wandel manchmal eben auch von Unbequemlichkeit begleitet wird.

Das lässt aber zumindest Zeit und Muße, mal ein paar Blicke mehr auf dieses Stück Straße zu werfen, das da gerade rabiat auf links gedreht wird.

Da sind jede Menge Orte, die früher mal anders waren, anderes bedeuteten. Vorne, bei den niedrigen ungeraden Nummern gab es früher mal die Kneipe vom Jupp. Da wird jetzt Hairstyling angeboten. Nebendran residierte ein Schlüsseldienst, dessen Besitzer ein paar Mal zu oft bei Jupp zu Gast war, weshalb er irgendwann mal eine Weile keinen Führerschein hatte. Ich hatte meinen gerade und durfte dann für den Schlüsselmann Fahrdienste übernehmen, mir ein bisschen Taschengeld verdienen. Viel später zog in die Räume dann ein Esoterikladen ein, aber auch der ist schon Geschichte. War wohl nichts mit übersinnlichem Geschäft auf dieser Straße. Gegenüber lag Meyers Kneipe, in der wir uns als Jugendliche immer stundenlang an einer Cola festhielten. Bis der Besitzer uns rauswarf. Zu wenig Umsatz. Jetzt heißt die Lokalität Bar Alexandra.

Dass an der Ecke zur Suitbertusstraße mal eine Tankstelle im Erdgeschoss eines Wohnhauses untergebracht war, kann man heute auch nicht mehr sehen. Ich kannte den Besitzer. Onkel Gustaf nannten wir ihn, und manchmal hat uns Onkel Gustaf nebenan am Büdchen was Süßes gekauft. In der Zeit haben wir dann an den Zapfsäulen herumgespielt, was wir natürlich nicht durften. Jetzt gibt es am selben Ort Matratzen zu kaufen.

Offiziell verlegt die Stadt hier „lärmoptimierten Asphalt“. Ich wusste nicht, dass man Lärm optimieren kann. Ich frage mich, wie optimierter, also verbesserter Lärm klingt. Einfach nur lauter oder auch wuchtiger? Kann man einen Missstand steigern? Wahrscheinlich bin ich aber nur ein Wortklauber, einer ohne Verständnis für die Nöte wiehernder Huftiere, die in städtischen Büros Papiere entwerfen.

Nachts ist es derzeit ungewöhnlich still. Weil die Autos einspurig mehr gleiten als rollen, fehlt das Grundrauschen. Man kann das schön studieren vorne am Bilker Bahnhof. Bei einem Bier im Miss Moneypenny. Da sieht man genau, wer aus der Merowingerstraße kommt (ganz wenige) und wer hineinfährt (niemand). Wo man sonst leicht mal ins Brüllen kommt, kann man jetzt sehr oft tuscheln. Hat auch mal was. Was genau? Weiß ich doch nicht.

Ein Bauarbeiter mit Presslufthammer beeindruckt ein paar Kindergartenkinder. Die staunen mit großen Augen. Das möchten sie auch mal können. So einen Krach machen. Das Karriereziel im Auge lassen sie sich weiterziehen und schauen sehnsuchtsvoll zurück zum Presslufthammermann.

Für ein paar Wochen ist alles anders an der Merowingerstraße. Allen, die im Urlaub so gerne Thrill und Aufregung suchen, sei ein Ausflug hierhin angeraten. Hier sieht man die Ausgrabungen des Gestern, hier sieht man, wie das Gestern untergepflügt und am Morgen gebaggert wird. Hier passiert richtig was. Umwälzung. Und man muss, um das zu erleben, noch nicht einmal ein Flugzeug besteigen. Das Exotische liegt manchmal so nah, man muss es nur sehen. Wer braucht herkömmliche Schönheit, wenn er anderes haben kann.

Leben im Durchzug ist die Merowingerstraße sonst. Jetzt ist mal Ruhe. Jetzt steht die Zeit still. Außer natürlich, wenn der Bagger brummt. Aber abends ist still. Da kann man hier in Ruhe sitzen. Ein paar Wochen nur. Bis der Asphalt lärmoptimiert ist. Dann nehmen auch die Ampeln wieder ihren Betrieb auf. Momentan sind ihre Lichter in Urlaub gefahren.