Stadt-Teilchen Wie viel neu macht der Mai?
Frühling ist Erneuerung, manchmal ist’s nur Etikettenschwindel.
Düsseldorf. Was ist schlimmer in Düsseldorf, als alt auszusehen? Alt geht gar nicht. Besonders nicht im Licht der Öffentlichkeit oder auf der Kö. Alt gehört geliftet, gestrafft, abgesaugt. Gerade jetzt im Frühling. Die Sonne bringt es an den Tag. Falten werfen Schlagschatten. Parole: Alles neu macht der Mai. Und wenn’s ne Mogelpackung wird. Neu, das war in Zeiten, als Werbung noch Reklame hieß, ein so genannter Störer. Aufgeklebt aufs Sonder-Angebot. „Jetzt neu!“, ein Etikett, das man einfach auf alte Werbung pappte. Gern auch auf Ladenhüter. Denn: „Neu“ macht an, „Neu“ (ver)stört, „Neu“ darf man nicht verpassen. Sonst, wie gesagt, sieht man alt aus, gehört zum alten Eisen. Und das ist Schrott.
Wie man das ohne viel Aufwand verhindert? Durch Rundumerneuerung. Viel zu aufwändig. Einfacher: um vergleichsweise jünger zu wirken, lässt man andere alt aussehen, auf jeden Fall älter als man selbst sich fühlt. Am besten orientieren wir uns an prominenten Beispiele: Da ist irgendjemand, der einen Tennisschläger halten kann, sofort der neue Boris Becker, ein Anderer, der schnell die Kurve kriegt, ein neuer Schumacher, ein farbiges Model die neue Naomi Campbell, ein Nachwuchs-Designer mit Sonnenbrille und Pferdeschwanz der neue Karl Lagerfeld.
Es reicht nicht mehr für einen Pferdeschwanz? Dann eben nur die Sonnenbrille, dann reicht’s vielleicht noch für einen neuen Heino. „Ist Harald Schmidt der neue Reich-Ranicki?“ wurde gerade gefragt. Das selbst schon ziemlich alte Lästermaul war ins Gespräch gekommen für ein neues Literarisches Quartett. Nun, ja, lesen kann er ja wohl. Aber ob das reicht für einen neuen Ranicki?
Dunkelblau ist angeblich das neue Schwarz in der Mode. Braun war’s im vorigen Jahr bei den Autolackierungen. Und welche Urlaubsinsel, wo keiner hin will, ist in dieser Saison das neue Mallorca? Egal. Für mich ist gerade Zuhausebleiben die neue Fernreise. Sehr erholsam!
Was man so alles machen wir in unserer schönen Stadt? Essen sei das neue Feiern, las ich kürzlich über kulinarische Großveranstaltungen in Düsseldorf. Ab Mai auf jeden Fall draußen und am besten für einen guten Zweck, der ein ebensolches Gewissen aufstoßen lässt: Hippe Häppchen als Hilfeleistung, Grillen gegen irgendeinen Super-Gau, Fressen für den Frieden. Wenn Nächstenliebe durch den Magen geht, sind die Foodies gefordert, das sind die neuen Gourmets (Feinfresser) oder auch Gourmants (Vielfresser). Dazu ist nicht viel zu sagen. Mit vollem Mund spricht man nicht.
Dann lieber was Neues in einem alten Stadt-Teilchen entdecken. Bevor es sich schick erneuert. Lierenfeld ist das verkannteste Viertel Düsseldorfs? Dann behaupten wir doch einfach, Lierenfeld sei das neue Flingern. Und dann pilgern alle hin. Wetten? So wie es schon im alten Flingern war, als es nicht mehr aussah wie das alte Lierenfeld. Oberbilk soll das neue Unterbilk werden, verraten Makler unter der Hand, während sie schon mal die Mieten neu definieren. Klappt ja auch hinterm alten Derendorfer Bahndamm, im neuen Klein Paris.
Irgendwann lese ich noch, LEDs seien die neuen Gaslaternen. Neubürger merken’s vielleicht nicht auf Anhieb: Neu ist nicht automatisch besser und leider allzu oft Etikettenschwindel, bloß ein „Störer“ wie in der Reklame. Doch Alteingesessene lassen sich nicht für dumm, und schon gar nicht als neu verkaufen. Wir sind ja nicht blöd! Ebenso wenig wie der angeblich neue Reich-Ranicki in der alten Mediamarkt-Werbung. Geht schon deshalb nicht, weil der alde Düsseldorfer als Original unvergleichlich ist. Nur ab und zu, wenn er Lust und Laune hat, erfindet er sich vielleicht neu - gern im Mai.