Stadt-Teilchen "Ich, Hans Hoff, will unter Denkmalschutz gestellt werden"
Seit geraumer Zeit präge ich das Bild dieser Stadt. Und deshalb fordere ich jetzt:
Düsseldorf. Aus gegebenem Anlass möchte ich Denkmalschutz beantragen. Für mich. Ich denke, ich könnte sehr davon profitieren, denn die Vorteile, die in Paragraph eins des Denkmalschutzgesetzes vermerkt sind, erscheinen mir höchst attraktiv. „Denkmäler sind zu schützen, zu pflegen, sinnvoll zu nutzen und wissenschaftlich zu erforschen. Sie sollen der Öffentlichkeit im Rahmen des Zumutbaren zugänglich gemacht werden“, steht da.
Ich denke, dass mit der Zugänglichmachung (ich kann auch Behördendeutsch!) könnte ich einrichten. Ich denke da an gelegentliche Auftritte auf dem Gustaf-Gründgens-Platz. Man dürfte mich dort betrachten und auch ansprechen. Vor allem wäre die Bevölkerung in der Lage, meine übergeordnete Bedeutung für die Stadt zu würdigen. „Denkmäler sind Sachen, Mehrheiten von Sachen und Teile von Sachen, an deren Erhaltung und Nutzung ein öffentliches Interesse besteht.“ Das steht in Paragraph zwei.
Das mit den Sachen hat mich zwar anfangs verwirrt, schließlich bin ich keine Mauer, die ja oft mehr trennt als zusammenführt. Ich bin auch kein mal eben dahin gesprühtes Kunstwerk an irgendeiner Hafenmauer. Ich bin einfach ich - Hans Hoff. Ich stelle mir das schön vor, wenn ich Visitenkarten hätte, auf denen hinter meinem Namen die Bezeichnung Denkmal stünde. Das Denkmalschutzgesetz führt auch die Kategorie „Bewegliche Denkmäler“. Das sind „alle nicht ortsfesten Denkmäler.“
Ich denke, ich kann mich mit Fug und Recht als nicht ortsfest kategorisieren. Ich präge zudem seit geraumer Zeit das Bild dieser Stadt. Ich verändere ihr Bild sogar. Da ich Düsseldorf nicht als statisches Gebilde, sondern als Prozess betrachte, trage ich regelmäßig meinen Teil dazu bei. Man bringt ja nicht ohne Grund jüngeren Menschen eine ins Philosophische hineinragende Weisheit bei: Düsseldorf ist nicht, Düsseldorf wird.
Ich war schon als Achtjähriger ein großer Transformationskünstler. Ich habe in Bilk die Äpfel aus Nachbars Schrebergarten erst in meinen Magen und dann in einen neuen Aggregatzustand überführt. Ich wollte damit die Vergänglichkeit des Seienden demonstrieren, konnte das aber gegenüber der Polizei, die vom Nachbarn gerufen wurde, nicht so gut ausdrücken. Die beließen es bei der Mahnung, meine Mutter möge mir auch daheim ab und an frisches Obst zugänglich machen. Mein Vater war regelrecht stolz auf mich. Der Knirps, der sonst auf dem Spielplatz immer Haue kriegt, hatte etwas getan, was er in den Bereich elaborierter Männlichkeit einsortierte. „Aus meinem Sohn wird noch was“, sagte er stolz. Das mit dem Werden habe ich behalten.
Es klang lange in meinen juvenilen Ohren nach. Ich war quasi als junger Mensch schon, was Düsseldorf permanent ist und was der Volksmund eher burschikos formuliert: am Werden. Ich habe mich auch während meiner Transformation zum beweglichen Denkmal stets um Veränderung bemüht. Ich will nicht eitel sein, aber ich glaube, dass Düsseldorf als Ganzes viel von mir gelernt hat. Selbst die Wertschätzung, die dieser Tage ein Spraygemälde erfuhr (nicht von allen Seiten, aber immerhin), führe ich auf meine Vorarbeiten zurück. Die wären noch zu besichtigen, hätte man nicht den einst noch beschaulichen Bilker Bahnhof in eine Betonwüste verwandelt. Man muss wissen, dass die Bahnhofshalle in Bilk in den Achtzigern noch weiß gekachelt war.
Außerdem sollte man wissen, dass meine Angebetete auf dem Weg zum Studium jeden Morgen durch diese Halle musste. Da sie mich aber partout nicht erhören wollte und irgendeinem Detlef schöne Augen machte, griff ich zu rabiaten Mitteln. Ich kaufte mir eine Dose mit knallrotem Lack und sprühte mindestens 20 riesige Herzen auf die Bahnhofshallenkacheln. Darin standen dann zwei Namen: Ihrer und meiner. Schon am Abend zeitigte meine Tat die erwünschte Reaktion. Sie rief an und bestellte mich zu einem Treffen.
Ich war mir sicher, dass ich es geschafft hatte, Veränderung zu bewirken. Sie kam, sah mir tief in die Augen und sagte dann sehr hart und sehr deutlich Worte, die mir noch heute im Ohr klingen: „Das muss aufhören!“ Danach rauschte sie erzürnt ab. Ich kam nicht mehr dazu, ihr zu erklären, dass sie doch quasi Teil eines Kunstprojekts sei. Die Verwandlung einer Bahnhofshalle in einen riesigen Liebesbrief würde heutzutage per Twitter in die Welt hinausgehen und mir bei YouTube Millionen Klicks verschaffen.
Damals blieb meine Botschaft ungehört, mein Kunstwerk ungewürdigt. Kurz danach wurde die Bahnhofshalle abgerissen. Von Aufnahme in irgendeine Denkmalschutzliste gar nicht zu reden. Ich habe mich dann irgendwann damit getröstet, dass Düsseldorf damals schon angefangen hat, Abschied zu nehmen von statischen Erinnerungswerken. Mit zementierten Strukturen lässt sich Wandel nun mal schlechter bebildern als mit Transformationen. Auch in mir änderte sich etwas.
Als sich vor ein paar Jahren morgens mal Graffiti an meiner Bilker Hauswand fand, schäumte ich derart vor Wut, dass man mit den ätzenden Bläschen meines Furors problemlos die Inschriften auf der Hauswand hätte tilgen können. Ich bestellte aber einen professionellen Wegmachdienst. Fort mit diesen Schmierereien. Erst später dämmerte mir, dass der Urheber der Inschriften auch ich in jüngeren Jahren hätte sein können. Was ich als Krakeleien pubertärer Nichtsnutzigkeit identifizierte, enthielt möglicherweise einen Liebesgruß.
Solche Erfahrungen haben mich weise gemacht. Weisheit ist die Ansammlung von Erkenntnis, destilliert aus all den Jahren. Kann Düsseldorf auf so etwas verzichten? Um es mal deutlich zu machen: Ich befinde mich seit über 59 Jahren mehr oder weniger im gleichen Aggregatzustand. Von ein paar Abnutzungserscheinungen im Gesicht und stabilitätsfördernden Wölbungen im Hüftbereich abgesehen. Nichts von Kö-Chirurgen verbaut, alles original Jahrgang 1955. Ich will ja nicht bis zum Äußersten gehen, aber ich könnte mich auch der Stadt Köln zur Verfügung stellen. Vielleicht denkt da mal irgendwer bei der Unteren Denkmalbehörde drüber nach.