Jugendliche Straßenkarneval in Düsseldorf zeigt: Komasaufen ist wieder angesagt

Düsseldorf · An den Karnevalstagen mussten wieder mehr Minderjährige wegen übermäßigen Alkoholkonsums behandelt werden. Düsseldorfer Experten appellieren an Erwachsene.

Eine Gruppe Kostümierter gönnt sich beim Straßenkarneval einen Schnaps. Bei vielen Jugendlichen ist es am Ende aber einer zu viel.

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In der diesjährigen Altweiber-Bilanz der Feuerwehr stach eine Zahl hervor: Es mussten deutlich mehr Minderjährige wegen zu starken Alkoholkonsums medizinisch versorgt werden. Gab es im Jahr 2018 noch sieben jugendliche Komasäufer, waren es in diesem Jahr bis zum Abend gegen 18 Uhr schon 23, also mehr als drei Mal so viele.

Den subjektiven Eindruck, dass in diesem Jahr besonders viele junge Minderjährige umherwankten, die Kontrolle verloren und sich an den verschiedensten Ecken der Innenstadt erbrachen, gewannen nicht nur erwachsene Karnevalisten und nicht feiernde Passanten. Auch Polizeihauptkommissar Martin Gerhards sagte nach seinem Einsatz an Altweiber: „Im vergangenen Jahr trafen wir gegen kurz nach 10.30 Uhr die erste minderjährige Volltrunkene an. Das war dieses Mal ein wenig später, dafür häuften sich aber die Fälle. Ich persönlich habe den Eindruck, dass die alkoholisierten Jugendlichen immer jünger werden.“

Die Kopplung von Alkohol und Spaß haben ist riskant

Hedwig Claes, Sozialarbeiterin und Präventionsfachkraft bei der Düsseldorfer Suchtprävention Crosspoint, hat einen ähnlichen Eindruck gewonnen. „In diesem Jahr mussten mehr Jugendliche wegen exzessiven Alkoholkonsums behandelt werden“, bilanziert auch sie. Das sei aber nur eine Spitze, insgesamt sei der Alkoholkonsum bei Jugendlichen rückläufig. „Allerdings ändert sich das Konsummuster“, sagt die Expertin. „Insgesamt wird weniger getrunken, aber das sogenannte Binge-Drinking, das Komasaufen, wird wieder mehr.“

Ein Grund für dieses maßlose Trinken bei Jugendlichen seien die Erwachsenen, die ihre Vorbild-Funktion – auch oder besonders an Tagen wie Karneval - völlig vernachlässigen. „Alkohol stellt bei den Erwachsenen ein großes Problem dar. Da ist es kaum verwunderlich, dass die nachfolgende Generation ähnliches Verhalten zeigt“, so Claes. Gesellschaftlich scheinbar völlig akzeptiert sei die so riskante Kopplung von Alkohol und Spaß haben. „Viele Erwachsene zeigen Jugendlichen, dass Karneval ohne Alkohol gar nicht funktioniert.“ Damit demonstrieren sie ein falsches und riskantes Verhalten, das in eine Sucht führen kann. „Da sind Erwachsene in der Pflicht und sollten auch an solchen Tagen wie Karneval ihre Vorbild-Funktion nicht vergessen“, appelliert Claes.

Einmaliges Komasaufen kann auch abschreckend wirken

Aber was sind noch Gründe, weshalb die sonst vielleicht so unauffällige Jugendliche an Karneval völlig über die Stränge schlägt? „Bestenfalls weil sie keine Erfahrung mit Alkohol hat, nichts verträgt und die eigenen Grenzen überhaupt nicht einschätzen kann“, sagt Hedwig Claes. Von der Clique angestiftet und bequatscht und durch die trinkende Umgebung bestätigt, kommt es dann schnell zu einem für die Jugendliche nicht einschätzbaren Rauschzustand. Im harmlosesten Fall mache die Jugendliche ihre Negativ-Erfahrung, schäme sich am nächsten Tag dafür und werde nie wieder so exzessiv trinken. „Das wird dann gefasst unter den Begriff Experiment. Diese Erfahrung müssen Jugendliche nicht zwangsläufig machen, in vielen Fällen hat ein solch gescheitertes Experiment aber abschreckende Wirkung“, so Claes. In anderen Fällen wird ein Filmriss oder ein Erwachen in der Notaufnahme als etwas durchaus Spannendes empfunden, mit dem sogar geprahlt wird. Verfestigt sich das Muster und sind Jugendliche der Meinung, auch diese für sie als lustig empfundenen Situationen unter Alkoholeinfluss gehören zu einem Abend unter Freunden dazu, wird es riskant. „Sie verlieren den Blick dafür, dass man auch anders Spaß haben kann. Dann sprechen wir von riskantem Trinkverhalten und von Suchtgefahr.“

Damit es gar nicht so weit kommt, muss laut Präventionsexperten frühzeitig damit begonnen werden, das Kind zu stärken. „Sich gegen die Gruppe zu stellen und zu sagen: Nein, ich trinke heute nur Cola. Dazu gehört ein gutes Selbstbewusstsein. Die Präventionsarbeit von Crosspoint, dem Zusammenschluss von Diakonie, Caritas und Drogenhilfe Düsseldorf, setzt deshalb sogar schon im Kindergartenalter an. Und zwar im Rahmen eines Projektes, das auf den ersten Blick keinen Zusammenhang mit Alkohol erahnen lässt. „Spielzeugfreie Kita“ nennt es sich, bei dem sich Kinder drei Monate lang komplett ohne Spielzeug in der Kita beschäftigen lernen. „Es geht darum, vom Konsum wegzukommen. Kinder konsumieren auch, nämlich Spielzeug. Sie nutzen es zur Kommunikation mit anderen. Ohne das Spielzeug lernen sie, sich anders zu beschäftigen, miteinander zu verhandeln, Sprachkompetenz zu erlangen“, erklärt Claes. Auch Eltern sollten frühzeitig ansetzen. „Einige Lebenskompetenzen lassen sich schon früh vermitteln, nämlich dadurch, dass ich meinem Kind nicht sofort Süßigkeiten gebe, wenn es schlecht drauf ist, ich mein Kind eine negative Situation auch mal aushalten lasse“, erläutert Claes. „So wird schon früh gezeigt: Es gibt nicht die Pille, die Droge, nicht den Lolli, um negative Gefühle zu dämpfen.“

Eltern, deren Kinder an Karneval erstmalig über die Stränge geschlagen haben, gibt Claes Entwarnung. „Wenn das Kind es einmal getan hat, ist es nicht so schlimm. Auch wenn es noch mal passiert, ist es nicht problematisch. In jedem Fall sollte aber nach den Gründen gefragt werden“, rät sie. Eltern müssten Interesse zeigen und die Ursache für das Trinken des Jugendlichen herausfinden. „Sagt ein Kind, es traue sich nur unter Alkoholeinfluss aus sich herauszukommen oder es könne ohne Alkohol keinen Spaß haben, dann sind das Alarmsignale, die unbedingt besprochen werden müssen.“