Südtribünen-Wissenschaft: Vom Fan zur Forscherin
Silke Müller schreibt eine Masterarbeit über die Fankultur bei Fortuna Düsseldorf.
Düsseldorf. Silke Müller kann entspannt Fortuna-Siege bejubeln. Die Spieltage, an denen die 24-Jährige neben das Spielfeld schauen musste, sind vorbei: „Ich habe von der Tribüne aus die Ränge beobachtet und protokolliert, was die Fans machen“, sagt sie, die sonst mittendrin steht. Auf der Südtribüne, Block 38. Doch in den letzten Monaten wurde sie vom Fan zur Forscherin. Denn ihre Masterarbeit — „25 Seiten fehlen noch“ — trägt den Titel: Der Wandel der Fankultur im Fußball am Beispiel Fortuna Düsseldorf. Müller, Kulturmanagement-Studentin an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach, untersucht, was sich von 1979 bis heute auf den Rängen getan hat.
Dazu musste sie erst einmal ein soziologisches und kulturtheoretisches Grundgerüst für ihre Arbeit errichten. Was ist eigentlich ein Fan? Wo hat er seine historischen Wurzeln? „Das Fan-Dasein hat seine Anfänge in der Industrialisierung am Ende des 19. Jahrhunderts“, erzählt Müller. Damals hätte es zum ersten Mal feste Arbeitszeiten in Fabriken gegeben, und damit auch Freizeit, die sinnvoll gestaltet werden wollte. Und da sich der Fußball in genau dieser Zeit zum Massenphänomen entwickelte, kam eines zum anderen.
„Dann habe ich begonnen, alte Fotos und Fernseh-Aufnahmen der Tribünen bei Fortuna-Spielen auszuwerten“, sagt Müller, die feststellte: „Alles hat sich geändert.“ Anfang der Achtziger gab es keine Fans in Trikots und mit drei Schals um Hals und Arme. Zaunfahnen? Fehlanzeige. Frauen und Kinder beim Fußball? Fehlanzeige. Von Fanprojekten oder Sozialarbeit in der Fußballszene ganz zu schweigen.
Die gravierendste Veränderung in der Fankultur hätten die modernen Stadien mit sich gebracht: „Es entstand eine völlig neue Fangruppe: die Eventies, die bespaßt werden wollen. Und heute ist ein Ausflug zum Fußball familientauglich“, sagt Müller, die diese Entwicklung auch kritisch sieht: „Logen, die Geschäftsleute für viel Geld anmieten, und immer mehr Werbung im Stadion — das hat bei anderen Fans neue Feindbilder entstehen lassen.“ Vermeintlich „echte“ Fans grenzen sich von „unechten“ ab.
Doch wann ist ein Fan unecht? „Wenn er sich eine Fan-Rolle aufstülpt, um etwas anderes auszuleben.“ Dazu gehöre der Vip-Logen-Mieter, der nur an seine eigenen Geschäfte denkt, aber auch der Hooligan, dem das Spiel egal ist, der nur Randale im Sinn hat.
Ob Eventie, Kutte, Trikot-Fan, Ultra, Hooligan oder Tribünen-Sitzer: den typischen Fortuna-Fan gebe es nicht: „Es gibt so viele Meinungen und Gruppen. Alle kommen zwar auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, dass sie den Erfolg für Fortuna wollen. Aber sie wollen dieses Ziel nicht auf demselben Weg erreichen.“ Wo welche Fan-Kategorie im Stadion zu finden ist, hat Silke Müller kartiert, Fangesänge protokolliert und alte Bilder ausgewertet — doch was für ein Fan ist sie selbst? „Ach, ich bin ein normaler Dauerkartenfan, mit Herzblut dabei.“